Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. "Chemnitzer Tabelle" zur Vereinheitlichung und Vorhersehbarkeit der Entscheidungen über PKH-Vergütungsfestsetzungen. qualitative Ermessensprüfung. quantitative Ermessensprüfung. Toleranzkorridor. mehrere Auftraggeber. besonderes Haftungsrisiko. Tenorberichtigungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1a) Die Ermessensbetätigung des Rechtsanwalts bei der Bestimmung von Rahmengebühren unterliegt, sofern die Höhe der Gebühr zwischen Anwalt und Mandant streitig ist, nur einer beschränkten Ermessenskontrolle im Hinblick auf Ermessensfehler (qualitative Ermessensprüfung).

b) Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, so findet auch eine Billigkeitskontrolle statt (quantitative Ermessensprüfung).

c) Werden Rahmengebühren bei bewilligter Prozesskostenhilfe durch den im Sozialgerichtsprozess beigeordneten Anwalt geltend gemacht, so besteht kein Grund für einen Toleranzkorridor von 10, 20 oder 30% nach oben und unten, wenn als Orientierungshilfen tabellarische Leitlinien durch die Rechtsprechung vorgegeben sind. Die Einräumung eines Toleranzkorridors hat den Sinn, kleinliche Streitereien um unbedeutende Beträge zu vermeiden. Ein Anspruch des Anwalts auf eine Vergütung, die 10, 20 oder 30% über der angemessenen liegt, besteht jedoch nicht.

2a) Die Rechtssicherheit in Form der Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen und die Notwendigkeit der Gleichbehandlung gleich gelagerter Alltagsfälle erfordern praxisbezogene Orientierungshilfen. Eine solche Orientierungshilfe ist insbesondere für die Anwaltsvergütung in PKH-Sachen vor der Sozialgerichtsbarkeit unumgänglich.

b) Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers sind bei der Bestimmung der Gebührenhöhe im Rahmen der PKH-Vergütung nicht zu berücksichtigen.

c) Die in § 14 RVG genannten Maßstäbe für die Bestimmung der Gebührenhöhe sind in PKH-Sachen nach objektiven Kriterien anzuwenden: Welchen Umfang und welche Schwierigkeit die anwaltliche Tätigkeit hatte, bestimmt sich nicht danach, was im konkreten Einzelfall unternommen wurde und welche Schwierigkeiten der Anwalt hatte, sondern danach, was zu unternehmen objektiv geboten war und welchen objektiven Schwierigkeitsgrad die gebotene Tätigkeit hatte. Insofern ist in der weitaus überwiegenden Zahl der Sozialgerichts-Fälle eine Klassifizierung nach Verfahrenstypen sachgerecht.

3. Ob eine Erhöhungsgebühr nach Nr 1008 RVG-VV wegen mehrerer Auftraggeber bei PKH aus der Staatskasse zu erstatten ist, hängt davon ab, wie vielen Streitgenossen PKH bewilligt wurde.

4. Ein besonderes Haftungsrisiko ist bei einem Streitwert von 920,- € nicht gebührenerhöhend zu berücksichtigen. Ohnehin ist in den meisten sozialrechtlichen Angelegenheiten das Haftungsrisiko nicht relevant.

5. Ein Tenorberichtigungsverfahren rechtfertigt keine Anhebung der Rahmengebühren.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Rechtsanwältin wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 28.01.2010 aufgehoben.

Der Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 02.12.2009 wird dahingehend abgeändert, dass die der Beschwerdeführerin aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 618,80 € festgesetzt werden.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Höhe der Vergütung für die Tätigkeit im Verfahren vor dem Sozialgericht Chemnitz (Az. S 36 AS 4717/08), in welchem die Beschwerdeführerin mit Beschluss vom 13.07.2009 der Klägerin jenes Verfahrens beigeordnet worden war.

In jenem Verfahren hatte die Klägerin zunächst selbst gegen einen Erstattungsbescheid vom 25.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.08.2008 über den Betrag von 940,00 € Klage erhoben und an einem Erörterungstermin am 16.12.2008 teilgenommen.

Mit Schreiben vom 11.03.2009 bestellte sich die Beschwerdeführerin zur Prozessbevollmächtigten der Beklagten und beantragte, die angefochtenen Bescheide “ersatzlos aufzuheben„.

Nachdem Prozesskostenhilfe bewilligt worden war, wurde die Sache in der mündlichen Verhandlung vom 03.09.2009 durch Urteil erledigt. Das Gericht tenorierte wie folgt:

I. Der Erstattungsbescheid vom 25.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2008 wird aufgehoben, soweit die Erstattung von mehr als 581,64 € verlangt wird.

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin sind von der Beklagten in Höhe von 40 % zu erstatten.

IV. Die Berufung wird zugelassen.

Mit Schreiben vom 28.10.2009 teilte dann das Gericht den Beteiligten mit, dass der im Termin verkündete verbleibende Erstattungsbetrag von 581,64 € unrichtig sei, richtigerweise müsse ein Erstattungsbetrag von 727,05 € verbleiben. Es sei daher “beabsichtigt, den Tenor nach § 138 SGG wegen eines Rechenfehlers von Amts wegen zu berichtigen„. Die Kostenquote sei “ebenfalls entsprechend zu berichtigen„.

Die Beschwerdeführerin hatte dagegen keine Einwände.

Daraufhin wurde mit Beschluss vom 06.11.2009 der Erstattungsbetrag auf 727,05 € erhöht und die Kostenquote auf 20 % abgesenkt.

Da die Beschwerdeführerin d...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?