Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Erfüllung der verkürzten Anwartschaftszeit. im Voraus befristetes Beschäftigungsverhältnis. rechtliche Bewertung. maßgeblicher Zeitpunkt. Arbeitsvertragsabschluss. erneute Einstellung ohne zeitliche Unterbrechung beim identischen Arbeitgeber. mehrere aufeinanderfolgende Beschäftigungen. Unerheblichkeit des Befristungsgrundes. Schutzwürdigkeit. Missbrauchskontrolle
Leitsatz (amtlich)
1. Entscheidend für die rechtliche Bewertung im Rahmen des § 142 Abs 2 Satz 1 SGB III ist der Zeitpunkt des Abschlusses des befristen Beschäftigungsverhältnisses ( im Voraus ).
2. Allein der Umstand, dass die erneute Einstellung ohne zeitliche Unterbrechung beim gleichen Arbeitgeber erfolgte, ist nicht geeignet, der jeweils befristeten Beschäftigung nachträglich den Charakter einer kurzen Beschäftigung im Sinne von § 142 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB III zu nehmen.
3. Im Rahmen des § 142 Abs 2 SGB III ist es unerheblich, ob es sich um eine Sachgrundbefristung nach § 14 Abs 1 TzBfG oder eine kalendermäßige Befristung nach § 14 Abs 2 TzBfG handelt.
4. Ein Arbeitnehmer, der aufgrund geänderter Umstände beim identischen Arbeitgeber erneut nur befristet beschäftigt wird, ist genauso schutzwürdig wie Arbeitnehmer, die ohne zeitliche Unterbrechung bei unterschiedlichen Arbeitgebern befristet beschäftigt werden.
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 23. Januar 2020 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Arbeitslosengeld ab dem 1. Januar 2019 und insofern die Erfüllung der Anwartschaftszeit nach § 142 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III).
Der 1960 geborene Kläger, dessen befristetes Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2018 endete, meldete sich am 29. Oktober 2018 arbeitssuchend und am 5. November 2018 persönlich arbeitslos; ferner beantragte er die Zahlung von Arbeitslosengeld ab dem 1. Januar 2019.
Der Kläger war auf der Grundlage der nachfolgenden Arbeitsverträge bei der Deutschen Post AG jeweils befristet versicherungspflichtig für 30 Stunden in der Woche als Postzusteller beschäftigt. Die im Wesentlichen gleichlautenden Formulararbeitsverträge enthalten keine Verlängerungsoption.
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- Vertrag vom 19. Oktober 2016 |
Zeitraum: vom 1. November 2016 bis zum 31. Dezember 2016 |
Grund: EU-Abwicklung laut Plan und Entlastung |
Erzieltes Arbeitsentgelt: Beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt Rechtskreis Ost: November 2016 - 1.712,85 EUR, Dezember 2016 - 2.217,31 EUR |
Nach Auskunft des Arbeitgebers sei der Vertrag zur Absicherung der Vertretung der sich in dieser Zeit im Urlaub befindlichen Mitarbeiter geschlossen worden. Zudem sei in dem Befristungszeitraum saisonal die Versendungsmengen stark und bedingt durch einen vorrübergehenden Personalmehrbedarf angestiegen. |
- Vertrag vom 8. Dezember 2016 |
Zeitraum: vom 1. Januar 2017 bis 31. Januar 2017 |
Grund: EU-Abwicklung laut Plan |
Erzieltes Arbeitsentgelt: Beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt Rechtskreis Ost: 1.681,74 EUR |
Nach Auskunft des Arbeitgebers sei der Vertrag zur Absicherung der Vertretung der sich im Urlaub befindlichen Mitarbeiter geschlossen worden. Jedoch handele es sich bei dem Vertrag vom 8. Dezember 2016 nicht um eine Fortsetzung des Vorvertrages. Erst Anfang Dezember 2016 sei absehbar gewesen, dass sich auf Grund der aktuellen Personalsituation (unvorhergesehene Personalausfälle) im Januar 2017 ein weiterer Bedarf ergebe. |
- Vertrag vom 31. Januar 2017 |
Zeitraum: vom 1. Februar 2017 bis zum 28. Februar 2017 |
Grund: Vertretung wegen vorrübergehende Abwesenheit der Mitarbeiterin Frau Z.... aufgrund Mutterschutz |
Erzieltes Arbeitsentgelt: Beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt Rechtskreis Ost: 1.589,42 EUR |
- Vertrag vom 16. Oktober 2017 |
Zeitraum: vom 2. November 2017 bis zum 31. Januar 2018 |
Grund: stark Verkehr/Entlastung laut Plan |
Erzieltes Arbeitsentgelt: Beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt Rechtskreis Ost: November 2017 - 1.949,08 EUR, Dezember 2017 - 2.213,86 EUR, Januar 2018 - 1.458,71 EUR |
- Vertrag vom 23. Oktober 2018 |
Zeitraum: vom 1. November 2018 bis 31. Dezember 2018 |
Grund: Vertretung wegen vorübergehender Abwesenheit der Mitarbeiterin Frau Y.... |
Erzieltes Arbeitsentgelt: Beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt Rechtskreis Ost: November 2018 - 1.960,45 EUR, für Dezember 2018 weist die Arbeitsbescheinigung vom 3. Januar 2019 kein Arbeitsentgelt aus |
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 29. November 2018 die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab. In den letzten zwei Jahren vor den 1. Januar 2019 habe der Kläger im Umfang von weniger als zwölf Monaten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gestanden, so dass die Anwartschaftszeit nicht erfüllt sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2019 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers, mit welche...