Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Bedarfsgemeinschaft. Zugehörigkeit des Ehegatten auch bei fehlender eigener Hilfebedürftigkeit. Altersrentenbezug. Berechnung der Leistungen nach dem SGB 2 und SGB 12. verfassungskonforme Auslegung. Mehrbedarf gem § 30 Abs 5 SGB 12. Absetzung von Versicherungsbeiträgen. Energiekostenanteil zur Warmwasseraufbereitung
Leitsatz (amtlich)
1. Nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten bilden stets eine Bedarfsgemeinschaft iS von § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB 2, gleichgültig, ob einer der Partner nicht hilfebedürftig ist oder von Leistungen nach dem SGB 2 aufgrund seines Alters (über 65 Jahre) oder aufgrund des Bezuges von Altersrente ausgeschlossen ist.
2. Der Altersrente beziehende, nicht bedürftige Ehegatte hat dann sein Einkommen gemäß § 9 Abs 2 S 1 SGB 2 bis zur Grenze seiner eigenen Hilfebedürftigkeit ohne Rücksicht auf einen unterhaltsrechtlichen Selbstbehalt nach dem BGB einzusetzen.
3. Allerdings bestimmt sich die Grenze der eigenen Hilfebedürftigkeit des Altersrentners wegen seines Leistungsausschlusses nicht nach dem SGB 2, sondern ausschließlich (hinsichtlich Bedarfsbemessung und Einkommens- bzw Vermögensanrechnung) nach dem SGB 12.
4. Deshalb ist zumindest in solchen Fällen § 9 Abs 2 S 3 SGB 2 einschränkend verfassungskonform dahin auszulegen, dass nur das den Bedarf des Altersrentners übersteigende Einkommen auf die übrigen hilfebedürftigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft entsprechend dem Verhältnis ihrer Bedürftigkeit zu verteilen ist, um zu vermeiden, dass der Altersrentner selbst hilfebedürftig nach dem SGB 12 wird.
5. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen wegen der unterschiedlichen Aufteilung der Regelsätze zwischen Ehegatten nach SGB 2 und SGB 12 ist der bis 30.6.2006 in Sachsen gültige Regelsatz des hilfebedürftigen Partners nach dem SGB 2 (298 Euro) auf den dem Altersrentner in Sachsen dann zustehenden Regelsatz für den Haushaltsvorstand nach dem SGB 12 (331 Euro) anzurechnen, so dass der bis 30.6.2006 identische Gesamtbedarf der Ehegatten nach SGB 2 und SGB 12 (596 Euro) nicht überschritten wird. Ab 1.7.2006 ist der Regelsatz des Altersrentners weiter mit 298 Euro zu bemessen, weil er von den Leistungen des SGB 2 ausgeschlossen ist und deshalb nicht an der Regelsatzerhöhung nach dem SGB 2 teilnehmen kann. Jedoch ist der Regelsatz des hilfebedürftigen Partners des Altersrentners wegen der Änderung des SGB 2 auf 311 Euro zu erhöhen.
6. Die Mehrbedarfsbeträge für eine kostenaufwändige Ernährung nach § 30 Abs 5 SGB 12 bestimmen sich anhand der vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge entwickelten "Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" (2. Aufl 1997) und sind an die Entwicklung der Regelsätze anzupassen (zu erhöhen). Mehrbedarfsbeträge für einzelne Erkrankungen sind dabei nicht zu addieren, sondern allein der höchste Mehrbedarfsbetrag anzusetzen. Nur in Ausnahmefällen, bei besonderen Anhaltspunkten, ist der höchste Mehrbedarfsbetrag anteilig zu erhöhen.
7. Von der Altersrente sind gemäß § 82 Abs 2 Nr 3 SGB 12 - soweit nachgewiesen - angemessene Beiträge des Altersrentners zu einer Hausrat-, einer Seniorenunfall- und einer Sterbegeldversicherung abzusetzen. Die Versicherungspauschale gemäß § 3 Abs 1 Nr 1 AlgI-IV von 30 Euro ist nicht abzusetzen.
Orientierungssatz
Der Energiekostenanteil zur Warmwasseraufbereitung ist nicht nur dann bedarfsmäßig gedeckt, wenn eine Regelleistung nach dem SGB 2 tatsächlich gewährt wird, sondern auch dann, wenn und soweit die Regelleistung nicht gewährt wird, sondern diese Regelleistung stattdessen aus anderen Mitteln (hier der Netto-Altersrente des Ehegatten) gedeckt ist.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 08. Dezember 2005 abgeändert:
Die Klage und die Anschlussberufung der Klägerin werden abgewiesen, soweit die Beklagte den geltend gemachten Anspruch nicht anerkannt hat.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung zur Zahlung höheren Arbeitslosengeldes II (Alg II) nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II), indem der Ehegatte der Klägerin nicht als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft berücksichtigt und sein Einkommen deshalb nur in Höhe des Unterhaltsanspruchs der Klägerin nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) angerechnet wird.
Die Klägerin begehrt ihrerseits über die Verurteilung der Beklagten hinaus höheres Alg II für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 31.12.2006 unter zusätzlicher Berücksichtigung von weiteren Mehrbedarfsbeträgen bei ihrem Ehemann wegen kostenaufwändiger Ernährung und unter Berücksichtigung ihrer eigenen Versicherungen und der ihres Ehemanns.
Die am ... 1947 geborene Klägerin lebt mit ihrem am ... 1934 geborenen Ehemann in einer 57 m 2 großen 3-Raum-Wohnun...