Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Mitwirkungspflichten. Auskunftspflicht Dritter. Kreis der Auskunftspflichtigen. getrennt lebender bzw geschiedener Ehegatte. Bestimmtheit des Auskunftsverlangens. Erforderlichkeit des Auskunftsverlangens. Nichterforderlichkeit des tatsächlichen Bestehens eines Unterhaltsanspruchs. Negativevidenz. Unterhaltsverzicht
Leitsatz (amtlich)
1. Der Kreis der Auskunftspflichtigen wird in § 60 Abs 2 S 1 SGB 2 festgelegt. Die Bezugnahme in § 60 Abs 2 S 3 SGB 2 auf § 1605 Abs 1 BGB betrifft nur die Feststellung der Unterhaltsverpflichtung, das heißt den Umfang der Mitwirkungspflicht.
2. Soweit sich das Auskunftsverlangen nach § 60 Abs 2 S 1 SGB 2 auf die Unterhaltspflicht zwischen Ehegatten bezieht, muss in dem Auskunftsverlangen nicht danach unterschieden werden, ob es sich um Familienunterhalt, Trennungsunterhalt oder Scheidungsunterhalt handelt.
3. Zur Erforderlichkeit eines Auskunftsverlangens.
4. Die Auskunftspflicht nach § 60 Abs 2 S 1 SGB 2 besteht, solange eine Unterhaltspflicht nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (Negativevidenz).
5. Ein Unterhaltsverzicht kann unwirksam sein, wenn die Parteien dadurch in vorhersehbarer Weise die Hilfebedürftigkeit nach dem SGB 2 herbeiführen, es sei denn, dass besondere Umstände den Verzicht rechtfertigen.
Normenkette
SGB II § 60 Abs. 2 Sätze 1, 3, Abs. 4, § 33 Abs. 1 Sätze 1, 3, § 40 Abs. 1 S. 1, § 44b Abs. 1 S. 2, § 11 Abs. 1 S. 1; BGB § 1605 Abs. 1 Sätze 1-2, § 1361 Abs. 1 Sätze 1, 4, Abs. 3, § 1567 Abs. 1 S. 1, § 1569 S. 2, §§ 1578b, 1579, 1580 Sätze 1-2, § 138 Abs. 1; SGB X § 31 S. 1, § 33 Abs. 3 S. 1; AFG § 144 Abs. 3 S. 2; BSHG § 116
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 11. Mai 2011 wird zurückgewiesen
II. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten
III. Die Revision wird nicht zugelassen
IV. Der Streitwert wird für das Klageverfahren und das Berufungsverfahren auf jeweils 5.000,00 EUR festgesetzt
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine Aufforderung, Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen.
Die Klägerin ist die geschiedene Ehefrau von J… R…, der vom ARGE L… Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) bezog. Die Ehegatten lebten seit 26. Juni 2008 getrennt. J… R… waren unter anderem mit Bescheid vom 24. November 2009 Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2009 bis zum 31. Mai 2010 bewilligt worden. Wegen der einzelnen Leistungsbewilligungen wird auf die Verwaltungsakte verwiesen.
Die ARGE L… forderte die Klägerin mit Schreiben vom 23. Februar 2010 auf, Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisses zu erteilen. Er berief sich hierfür einerseits auf § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB II i. V. m. § 1361 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und andererseits auf § 60 SGB II. Gegen das öffentlich-rechtliche Auskunftsverlangen könne Widerspruch erhoben werden.
Aus einem Schriftsatz einer Kanzleikollegin des Klägerbevollmächtigten vom 29. Oktober 2009 an die Stadt L…, das der ARGE L… seit 24. Februar 2010 vorlag, lebte die Klägerin zu diesem Zeitpunkt von ihrem Ehemann getrennt.
Mit Schriftsatz vom 10. März 2010 teilte die Kanzleikollegin der ARGE L… mit, dass die Klägerin für Unterhaltszahlungen nicht leistungsfähig sei. Sie verwies auf einen Schriftsatz vom 29. Oktober 2009 in einer Trennungsunterhaltsangelegenheit, worin sie angegeben hatte, dass sich das Einkommen der Klägerin auf 1.233,00 EUR belaufe. Abzüglich eines Mindestunterhaltes für den von ihr betreuten Sohn und den berufsbedingten Aufwendungen sei der Selbstbehalt von 1.000,00 EUR unterschritten.
Die Ehe der Klägerin mit J… R… wurde mit Beschluss des Amtsgerichtes L… vom 20. Oktober 2010 (Az. 337 F 01636/09) mit Wirkung vom selben Tag rechtskräftig geschieden. Eine Kopie des Beschlusses ging beim Beklagten am 17. Februar 2011 ein.
Mit Schreiben vom 15. Dezember 2010 wandte sich die ARGE L… an die Klägerin. Das Auskunftsersuchen zur Klärung der Unterhaltsverpflichtung habe sie zwar durch einige Unterlagen beantwortet. Jedoch fehlten der ausgefüllte Fragebogen sowie folgende Unterlagen: Nachweise zum Jahres-Nettoerwerbseinkommen sowie zusätzlichen Jahreseinkünften, der letzte Steuerbescheid und Nachweise über Kosten der Unterkunft. Nach dem Eingang solle eine mögliche Inanspruchnahme innerhalb von vier bis sechs Wochen berechnet werden. Eine weitere Aufforderung erfolgte unter dem 1. März 2011.
Die Weigerung der Klägerin, den Auskunftsaufforderungen nachzukommen, wertete der Nachfolger der ARGE L…, der Beklagte, als Widerspruch gegen den Bescheid vom 23. Februar 2010 und wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2011 zurück. Nach § 60 Abs. 2 Satz 3 SGB II finde für die Feststellung einer Unterhaltsverpflichtung auch § 1605 Abs. 1 BGB i. V. m. § 1580 BGB Anwendung.
Das Sozialgericht hat die hiergegen erhobene Klage vom 14. April 201...