Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeldanspruch. persönliche Arbeitslosmeldung. Rückwirkung bei fehlender Dienstbereitschaft. Beschränkung auf den ersten Tag der Beschäftigungslosigkeit. keine Anwendung auf den ersten Tag der Arbeitslosigkeit. keine planwidrige Regelungslücke. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Gesetzeswortlaut von § 141 Abs 3 SGB III stellt für die Rückwirkung einer Arbeitslosmeldung auf den ersten Tag "der Beschäftigungslosigkeit" ab.

2. Die beiden gesetzlich definierten Begriffe "Beschäftigungslosigkeit" und "Arbeitslosigkeit" können vom Wortlaut und von der Gesetzessystematik her im Rahmen von § 141 Abs 3 SGB III nicht gleichgesetzt werden.

3. Die Voraussetzungen für eine erweiternde Auslegung von § 141 Abs 3 SGB III auf den ersten Tag "der Arbeitslosigkeit" sind nicht gegeben.

4. Für eine analoge Anwendung von § 141 Abs 3 SGB III auf den ersten Tag nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit oder des Krankengeldbezuges fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke.

5. § 141 Abs 3 SGB III ist mit Artikel 3 Abs 1 GG vereinbar.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 16.02.2022; Aktenzeichen B 11 AL 41/21 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 14. Juli 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten des Klägers sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rückwirkung der persönlichen Arbeitslosmeldung auf den Tag der fehlenden Dienstbereitschaft in einem Fall, in dem während der bereits bestehenden Beschäftigungslosigkeit die persönliche Arbeitslosmeldung erfolgt ist. Der Kläger begehrt insofern die Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) bereits ab dem 30. November 2019.

Der 1970 geborene ledige Kläger war vom 20. Juni 2018 bis zum 19. Juni 2019 als Barkeeper bei der Y.... (Germany) GmbH X.... beschäftigt. Er bezog vom 1. Dezember 2018 bis zum 20. Mai 2019 an 168 Tagen Arbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 7.091,50 EUR und sodann Krankengeld. Er verlegte zum 1. Dezember 2019 seinen Wohnsitz nach A.....

Der Kläger meldete sich erstmals am 2. Dezember 2019 (einem Montag) mit Wirkung zum 30. November 2019 persönlich arbeitslos und beantragte online am gleichen Tag die Zahlung von Arbeitslosengeld.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 17. Dezember 2019 für 300 Kalendertage Arbeitslosengeld vom 2. Dezember 2019 bis zum 30. September 2020 in Höhe von täglich 19,70 EUR auf der Grundlage eines täglichen Bemessungsentgeltes in Höhe von 42,21 EUR (Steuerklasse 1, Prozentsatz 60).

Den Widerspruch des Klägers vom 6. Januar 2020 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2020 zurück.

Das Sozialgericht hat auf die Klage des Klägers vom 17. Januar 2020 mit Gerichtsbescheid vom 14. Juli 2020 die Beklagte unter Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 17. Dezember 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2020 verurteilt, dem Kläger auch am 30. November und 1. Dezember 2019 Arbeitslosengeld zu zahlen. Die am 2. Dezember 2020 erfolgte persönliche Arbeitslosmeldung, welche nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keine Willens-, sondern eine sogenannte Tatsachenerklärung darstelle und deshalb dem Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht zugänglich sei, entfalte trotz des vorherigen Krankengeldbezugs nach § 141 Abs. 3 SGB III Rückwirkung, da frühestens an diesem Tag Dienstbereitschaft der Agentur für Arbeit vorgelegen habe. Zwar sei die Vorschrift auf Grund ihres Ausnahmecharakters eng auszulegen. Sie sei jedoch im Ergebnis einer historischen und teleologischen Auslegung auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Das Sozialgericht hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Berufung zugelassen.

Die Beklagte hat sich gegen den Gerichtsbescheid mit Berufung vom 28. Juli 2020 gewandt. Eine analoge Anwendung der Vorschrift stehe der Wortlaut und die Normhistorie entgegen. Es liege keine planwidrige Regelungslücke vor.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 14. Juli 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Aufgrund des Umzuges sei eine frühere Arbeitslosmeldung nicht möglich gewesen. Zudem sei die feinsinnige Unterscheidung einem durchschnittlichen Arbeitslosen nicht zu vermitteln. Die Begriffe Arbeitslosigkeit und Beschäftigungslosigkeit würden als Synonyme verstanden. Er verweise auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Begriff der Beschäftigungslosigkeit bei unwiderruflicher Freistellung. Die Beklagte habe ihre ab der ersten Meldung während der Erkrankung bestehende Pflicht zur Beratung verletzt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte beider Instanzen und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die auf Grund der Zulassung statthafte und auch im Übrigen ...

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