Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Aktivlegitimation. Unterschied zur Prozessführungsbefugnis. Prozessstandschaft. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsleistungen. Vermittlungsgutschein. Vergütungsanspruch des privaten Arbeitsvermittlers. Forderungsabtretung. Vermittlungsverbot. sittenwidriger Arbeitsvertrag wegen Lohnwuchers. faktisches Arbeitsverhältnis. keine rückwirkende Nichtigkeit des Arbeitsvertrags. kein Vorliegen von Beschäftigungslosigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Aktivlegitimation oder auch Sachbefugnis betrifft die Frage, wer materiell Inhaber des streitigen Rechts oder Verpflichteter ist. Die Aktivlegitimation ist eine Frage der Begründetheit der Klage. Sie ist von der Prozessführungsbefugnis zu unterscheiden. Letztere ist die Berechtigung, einen Prozess als richtige Partei im eigenen Namen zu führen, also als richtiger Kläger zu klagen (aktive Prozessführungsbefugnis), oder als richtiger Beklagter verklagt zu werden (passive Prozessführungsbefugnis). Die Prozessführungsbefugnis ist eine von Amts wegen zu prüfende Sachurteilsvoraussetzung.
2. Die Aktivlegitimation fällt in der Regel mit der Prozessführungsbefugnis zusammen, es sei denn, Rechte eines Dritten können in zulässiger Prozessstandschaft verfolgt werden, nämlich in Folge einer Ermächtigung kraft Gesetzes (gesetzliche Prozessstandschaft) oder durch Einverständniserklärung des materiell Berechtigten (gewillkürte Prozessstandschaft) (Anschluss an BSG vom 23.5.2012 - B 14 AS 156/11 R = SozR 4-4200 § 36a Nr 1).
3. § 53 SGB 1 findet nur auf Sozialleistungen Anwendungen.
4. Bei dem von der Bundesagentur für Arbeit gemäß § 421g Abs 2 S 3 und 4 SGB 3 aF (seit 1.4.2012: § 45 Abs 6 S 5 SGB 3) gezahlten Vermittlerhonorar handelt es sich nicht um eine Sozialleistung, sondern um eine Vergütung aus wirtschaftlicher Betätigung (Fortführung der Senatsrechtsprechung: LSG Chemnitz vom 16.2.2005 - L 3 B 64/04 AL = NZS 2006, 277).
5. Da der private Vermittler im Rahmen des SGB 3 an die Stelle der ansonsten zuständigen Bundesagentur für Arbeit trat (und auch nach der seit dem 1.4.2012 geltenden Gesetzeslage tritt) und der private Maklervertrag vom öffentlichen Recht überlagert ist, müssen für den Vergütungsanspruch zusätzlich auch die Voraussetzungen des § 36 Abs 1 SGB 3 erfüllt sein.
6. Zu einem wegen Lohnwuchers nichtigen Arbeitsverhältnis.
7. Einem Beschäftigungsverhältnis steht nicht entgegen, dass der Arbeitsvertrag sittenwidrig ist. Denn ein sittenwidriger Arbeitsvertrag ist in der Regel rechtlich nicht unbeachtlich. Es kann arbeitsrechtlich ein sogenanntes faktisches Arbeitsverhältnis bestehen, sozialversicherungsrechtlich ein Beschäftigungsverhältnis. Nur ausnahmsweise ist ein Arbeitsvertrag rückwirkend, das heißt von Anfang an, nichtig, nämlich wenn er an einem besonders schweren Mangel leidet.
8. Ein Vergütungsanspruch eines Vermittlers besteht nur, wenn ein arbeitsloser Arbeitnehmer, nicht aber ein in einem Beschäftigungsverhältnis befindlicher Arbeitnehmer, in ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vermittelt wird (Fortführung der Senatsrechtsprechung: LSG Chemnitz vom 22.5.2014 - L 3 AL 85/12 = juris RdNr 31f).
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 23. Mai 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers sind in beiden Instanzen nicht erstattungsfähig.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf Zahlung aus einem Vermittlungsgutschein streitig.
Der Kläger betrieb eine private Arbeitsvermittlung und erstellte Lohnabrechnungen, unter anderem für den Inhaber des Imbisses A…-W… in R…, H… V… T…, dem späteren Arbeitgeber der Beigeladenen.
Am 6. April 2010 stellte der Beklagte der Beigeladenen, die sich bei ihm im Leistungsbezug befand, einen Vermittlungsgutschein über 2.000,00 EUR mit einer Geltungsdauer vom 6. April 2010 bis zum 5. Juli 2010 aus. Die Beigeladene wiederum schloss am 4. Mai 2010 mit dem Kläger einen Vermittlungsvertrag ab.
Auf Vermittlung des Klägers schlossen die Beigeladene und H… V… T… am 21. Mai 2010 einen Arbeitsvertrag, dessen schriftliche Fassung nicht mehr vorliegt. Das Beschäftigungsverhältnis begann am 26. Mai 2010. Zwischen den Beteiligten besteht Einvernehmen, dass eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden und ein Monatslohn von 410,00 EUR vereinbart waren. Der Beschäftigungsort war zunächst die Filiale in D… und später das Hauptgeschäft in R…. Das Beschäftigungsverhältnis endete am 25. September 2010.
Auf Grund eines - nicht dokumentierten - Antrages des Klägers beim Beklagten oder eines Kontaktes zwischen beiden wurde am 9. Juni 2010 ein neuer schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen. Der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses wurde auf den 21. Mai 2010 rückdatiert. Nunmehr waren unter anderem eine wöchentliche Arbeitszeit von 17 Stunden und ein Monatslohn von 410,00 EUR vereinbart. Außerdem erklärte die Beigeladene ihre "Überstundenbereits...