Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Mehrbedarf bei Nachweis der Feststellung des Merkzeichens G. rückwirkende Feststellung der vollen Erwerbsminderung durch den Rentenversicherungsträger. Antragserfordernis. vorheriger Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB 2
Orientierungssatz
Aus § 44 Abs 2 SGB 12 ergibt sich, dass die Leistungen für den vollen Kalendermonat zu erbringen sind, in dem die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen einschließlich des erforderlichen Antrags vorliegen.
Leitsatz (amtlich)
Ein Mehrbedarf für schwerbehinderte Menschen nach § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII ist nicht für rückwärtige Zeiträume zu gewähren, in denen der Betroffene Leistungen nach dem SGB II bezogen hat.
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 30. April 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger der Mehrbedarf für gehbehinderte Menschen bei voller Erwerbsminderung für September und Oktober 2017 zusteht.
Der 1957 geborene Kläger ist anerkannter Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 100. Sein Schwerbehindertenausweis ist mit dem Merkzeichen "G" versehen (Bescheid des Beklagten vom 9. März 2016). Mit Bescheid vom 21. August 2017 bewilligte ihm der Beklagte Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. September 2017 bis zum 28. Februar 2018, wobei er einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung berücksichtigte. Aufgrund des schweren Verlaufs seiner Krebserkrankung war beim Kläger ein BMI von unter 18,5 zu verzeichnen, weshalb krankheitsbedingt von einem erhöhten Ernährungsbedarf auszugehen sei.
Nachdem die Deutsche Rentenversicherung Bund dem Kläger mit Bescheid vom 8. November 2017 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung rückwirkend ab dem 1. September 2017 in Höhe von 346,16 Euro monatlich zuerkannt hatte, beantragte dieser beim Beklagten am 14. November 2017, ihm Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu gewähren. Über weitere Einkünfte oder Vermögen verfüge der Kläger nicht. Der Beklagte stellte die SGB II-Leistungen am 30. November 2017 ein, meldete aber zugleich einen Erstattungsanspruch nach § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) an.
Am 16. November 2017 erging der Bescheid über die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Dezember 2017 bis zum 30. November 2018 in Höhe von 455,68 Euro monatlich, wobei der Beklagte einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung von 40,90 Euro monatlich bedarfsseitig ansetzte. Dagegen legte der Kläger am 23. November 2017 Widerspruch ein. Er meinte, ihm stünde ab September 2017 der Mehrbedarf für schwerbehinderte Menschen nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu. Die Rente beziehe der Kläger bereits seither. Zudem sei dem Beklagten die Schwerbehinderung des Klägers seinerzeit bekannt gewesen. Den darauf bezogenen Mehrbedarf habe der Kläger dem Beklagten bereits im Schreiben vom 9. August 2017 bekannt gemacht. Deshalb sei dieser Mehrbedarf auch rückwirkend zu zahlen (Bezug auf Hessisches LSG, Urteil vom 24. März 2011 - L 1 AS 15/10; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. Januar 2011 - L 20 SO 569/10 B).
Mit Schreiben vom 16. Januar 2018 wurde der Erstattungsanspruch des Beklagten als SGB II-Leistungsträger befriedigt für November 2017. Daraufhin hob er den Bescheid vom 16. November 2017 über die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auf und gewährte dem Kläger diese Leistungen für die Zeit vom 1. November 2017 bis zum 31. Oktober 2018 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung sowie des begehrten Mehrbedarfs für schwerbehinderte Menschen in Höhe von 69,53 Euro monatlich. Den weitergehenden Widerspruch wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 7. Februar 2018). Für September und Oktober 2017 bestehe kein Anspruch auf diesen Mehrbedarf, da der Kläger seinerzeit SGB II-Leistungen bezogen und die ergänzende Grundsicherung nach dem SGB XII erst im November 2017 beantragt habe.
Dagegen hat sich die am 20. Februar 2018 vor dem Sozialgericht Dresden erhobene Klage gerichtet. Der Beklagte habe übersehen, dass der Kläger den Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung bereits mit Schreiben vom 9. August 2017 geltend gemacht habe. Das Sozialgericht hat den Beklagten unter Änderung der Bescheide vom 16. November 2017 und 6. Februar 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2018 dazu verurteilt, dem Kläger für September und Oktober 2017 den Mehrbedarf für schwerbehinderte Menschen in Höhe von insgesamt 139,06 Euro zu gewähren (Urteil vom 30. April 2019). Auch wenn der Rentenversicherungsträger er...