Entscheidungsstichwort (Thema)

Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein. Vergütungsanspruch eines privaten Arbeitsvermittlers. Nichterkennbarkeit des Vertragspartners. Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit der Vertragsparteien. besonderes Schutzbedürfnis des Arbeitsuchenden. wesentliche Bestandteile eines Vermittlungsvertrages. kein Gegenstand der Zertifizierung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wesentlicher Vertragsbestandteil ("essentialia negotii") eines zivilrechtlichen Vermittlungsvertrages zwischen einem privaten Arbeitsvermittler und einem Arbeitsuchenden ist die Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit der Vertragsparteien.

2. Wegen des besonderen Schutzbedürfnisses der Arbeitsuchenden kommt dem Gebot der Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit in Bezug auf die wesentlichen Vertragsbestandteile bei einem Vermittlungsvertrag eine besondere Bedeutung zu.

3. Vertragsmuster von Vermittlungsverträgen sind nicht Gegenstand der Zertifizierung im Sinne der §§ 176 SGB III.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 23.05.2022; Aktenzeichen B 11 AL 4/22 B)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Dresden vom 10. Dezember 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst zu tragen hat.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auf 1.000,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin, ein privates Arbeitsvermittlungsunternehmen, begehrt vom Beklagten die Zahlung einer Vermittlungsvergütung in Höhe von 1.000,00 EUR.

Die Klägerin ist ein zugelassener Träger im Sinne der Verordnung über die Voraussetzungen und das Verfahren zur Akkreditierung von fachkundigen Stellen und zur Zulassung von Trägern und Maßnahmen der Arbeitsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung - AZAV) vom 2. April 2012 (BGBl. I. S. 504) (Zertifikat der DEKRA Certification GmbH vom 9: November 2017 für den Standort A...., Zertifikats-Registrier-Nr.: …., gültig vom 26. November 2017 bis zum 25. November 2022).

Die REGIO Gruppe, zu der unter anderem die Klägerin gehört, und der mit Beschluss des Sozialgerichtes vom 12. Dezember 2018 Beigeladene schlossen am 9. April 2018 einen Vermittlungsvertrag.

Die Agentur für Arbeit Y.... stellte dem in X.... wohnenden Beigeladenen am 6. Juni 2015 einen vom 5. April 2018 bis zum 4. Juli 2018 gültigen Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein zur Auswahl eines zugelassenen Trägers (private Arbeitsvermittlung) für die Arbeitsvermittlung in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im "Wohnort und Umkreis 20km" über 2.000,00 EUR aus. In der unter der Überschrift "Nebenbestimmungen" enthaltenen Passage "Vermittlungsvergütung" sind die Voraussetzungen für eine Zahlung der Vergütung an den privaten Arbeitsvermittler aufgelistet. Danach wird unter anderem eine "Mindestens sechswöchige Dauer der vermittelten Beschäftigung" gefordert.

Die Fa. W.... GmbH (Y.... ) gab in der Vermittlungs- und Beschäftigungsbestätigung vom 6. Juli 2018 an, dass sie mit dem Beigeladenen am 17. April 2018 einen Arbeitsvertrag auf Dauer und einer wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 15 Stunden geschlossen habe. Das Beschäftigungsverhältnis habe vom 23. April 2018 bis zum 4. Juni 2018 bestanden. Vom 14. Mai 2018 bis zum 18. Mai 2018 sei kein Arbeitsentgelt gezahlt worden. Der Beigeladene sei durch die Klägerin vermittelt worden. In dem Formular der Bestätigung ist zu den Antwortalternativen "nach sechswöchiger Dauer des Beschäftigungsverhältnisses" und "nach sechsmonatiger Dauer des Beschäftigungsverhältnisses" in einer Fußnote vermerkt: "Zeiten ohne Arbeitsentgelt verlängern die Fristen von sechs Wochen bzw. sechs Monaten entsprechend."

Die Klägerin beantragte mit dem am 6. Juli 2018 unterschriebenen Formular die Auszahlung einer Vermittlungsvergütung in Höhe einer ersten Rate von 1.000,00 EUR.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 16. Juli 2018 ab, weil dem Beigeladenen in der Zeit vom 14. Mai 2018 bis zum 18. Mai 2018 kein Arbeitsentgelt gezahlt worden sei. Aus der Vermittlungs- und Beschäftigungsbestätigung ergebe sich, dass Zeiten ohne Arbeitsentgelt die Fristen entsprechend verlängern würden.

Die Klägerin legte mit Schreiben vom 16. August 2018 Widerspruch ein. Ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis liege auch in Zeiten vor, in denen kein Arbeitsentgelt gezahlt worden sei.

In der Arbeitsbescheinigung vom 27. Juni 2018 gab die Fa. W.... GmbH an, dass der Beigeladene in der streitbefangenen Zeit Krankengeld in den ersten vier Wochen der Beschäftigung erhalten habe.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2021 zurück. Die für die Auszahlung der Vermittlungsvergütung erforderliche Beschäftigungsdauer von sechs Wochen richte sich nach § 26 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) in Verbindung mit § 157 Abs. 2, § 188 Abs. 2 des ...

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