Entscheidungsstichwort (Thema)

Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Zuständigkeit des zweitangegangenen Rehabilitationsträger nach Weiterleitung des Teilhabeantrags. Arbeitsförderung. Teilhabe am Arbeitsleben. Gebärdensprachdolmetscher. Erforderlichkeit für den Erhalt bzw die Verbesserung der Erwerbsfähigkeit. Zweitausbildung. besondere Leistungen. sonstige Hilfen. Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz. Annexleistung. Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf. Erforderlichkeit. Mehrkostenvorbehalt. UNBehRÜbk

 

Leitsatz (amtlich)

Kein Anspruch auf Übernahme der Gebärdendolmetscherkosten durch den Sozialhilfeträger für eine angestrebte berufliche Zweitausbildung, wenn der erlernte Beruf weiterhin existenzsichernd ausgeübt werden kann. Das Leistungsbegehren ist darüber hinaus unter dem Gesichtspunkt des Mehrkostenvorbehaltes des § 9 Abs 2 SGB XII zu prüfen und steht nicht im Widerspruch zu Art 19 UN-BRK (juris: UNBehRÜbk).

 

Orientierungssatz

1. Die Förderung einer beruflichen Ausbildung ist zum Zwecke des Erhalts und der Verbesserung der Erwerbsfähigkeit nicht erforderlich im Sinne des § 112 Abs 1 SGB 3, wenn der Betroffene bereits in einer anderen Ausbildung gefördert wurde und in diesem Beruf der Verlust der Erwerbsfähigkeit nicht zu befürchten ist.

2. Die Aufzählung der besonderen Leistungen in § 118 S 1 SGB 3 ist nicht abschließend; subsidiär gelten die Vorschriften des SGB 9.

3. Die sonstigen Hilfen nach § 33 Abs 3 Nr 6 SGB 9 sind regelmäßig als Annexleistungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Maßnahme zur beruflichen Rehabilitation stehen, zu betrachten. Fehlt es bereits an der grundlegenden Förderung der schulischen Berufsausbildung, kommt eine darüber hinaus gehende umfassende Förderung durch einen zusätzlich bestellten Gebärdensprachdolmetscher nicht in Betracht.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 25.06.2020; Aktenzeichen B 8 SO 36/20 B)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 2. November 2018 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten hat der Beklagte der Klägerin nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für den Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern im Rahmen der beabsichtigten Ausbildung zur staatlich anerkannten Heilerziehungspflegerin.

Die 1978 geborene Klägerin ist gehörlos. Ihr sind ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen "G", "RF" sowie "Gl" zuerkannt. Die Klägerin ist verheiratet und Mutter zweier - in den Jahren 2006 und 2010 geborener - Kinder. Nach dem Realschulabschluss absolvierte die Klägerin eine Ausbildung zur Zahntechnikerin. Diesen Beruf übte sie ab dem Jahr 2000 aus. Seit dem 4. Mai 2015 arbeitet die Klägerin als pädagogische Mitarbeiterin beim Eigenbetrieb Kindertageseinrichtungen B.... der Landeshauptstadt B..... Ausweislich des unbefristeten Arbeitsvertrages vom 28. Oktober 2015 ist sie in die Entgeltgruppe S 4 des TVöD eingruppiert und erhält ein monatliches Einkommen von 1.462,89 EUR netto. Als pädagogische Fachkraft würde die Klägerin in die Entgeltgruppe S 8a eingruppiert werden und dann 1.551,08 EUR netto monatlich verdienen.

Am 5. Oktober 2012 beantragte die Klägerin bei der Deutsche Rentenversicherung Bund (im Folgenden: Beigeladene zu 2) die Übernahme der Kosten für die berufliche Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin. Diesen Antrag leitete diese aufgrund der seinerzeit fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (180 Kalendermonate Pflichtbeitragszeiten) an die Bundesagentur für Arbeit (im Folgenden: Beigeladene zu 1) weiter. Mit Bescheid vom 12. November 2012 lehnte die Beigeladene zu 1 den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß § 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) iVm. § 19 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) ab. Die Klägerin sei in einem leidensgerechten Beruf ausgebildet worden und ihre Eignung für den nunmehr angestrebten Beruf sei fraglich. Für eine Förderung einer neuerlichen Bildungsmaßnahme bestünde arbeitsmarkt- und behinderungsbedingt keine Notwendigkeit. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 30. April 2013 beantragte die Klägerin beim Kommunalen Sozialverband Sachsen (nachfolgend: KSV) Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) und Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach dem SGB IX durch Übernahme von Gebärdensprachdolmetscherkosten, um ihr eine zweite Berufsausbildung als staatlich anerkannte Heilerziehungspflegerin am Beruflichen Schulzentrum für Gesundheit und Sozialwesen „Y....“ in B.... zu ermöglichen. Ihre finanziellen Mittel reichten nicht aus, um die Dolmetscherkosten selbst zu tragen. Die erste Ausbildung zur Zahntechnikerin habe sie nur notgedrungen absolviert, weil seinerzeit wenige Ausbildungsberufe für Gehörlose zur Auswahl gestanden hätten. Nun wolle sie einen ihren Neigungen entsprechenden Beruf erlernen. Die Agentur für Arb...

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