Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Anwendbarkeit des § 44 SGB 10 im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens. Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. § 44 Abs 1 S 1 SGB X kann in einem Statusfeststellungsverfahren keine Anwendung finden, weil in diesem Zusammenhang weder Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht noch Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
2. Bei der Prüfung des § 44 Abs 2 S 2 SGB X ist zu beachten, dass die Beurteilung von Versicherungsverhältnissen rückwirkend grundsätzlich nicht geändert werden soll.
Orientierungssatz
Zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung einer Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 10. Juni 2016 sowie der an die Klägerin gerichtete Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2013 abgeändert; es wird festgestellt, dass der Beigeladene zu 1 als Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin in der Zeit vom 1. Januar 2011 bis 31. Oktober 2013 nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung unterlag.
II. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
III. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
IV. Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung, der Beigeladene zu 1 sei in der Zeit vom 1. September 2010 bis 13. August 2014 (zum Endzeitpunkt siehe Handelsregisterauszug HRB …. vom 5. November 2020) als selbstständiger Gesellschafter-Geschäftsführer für sie tätig gewesen und habe nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, sozialen Pflege- und gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlegen.
Die Klägerin ist eine am 31. August 2010 von dem Beigeladenen zu 1, Y...., X...., W...., V.... und U.... gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Unternehmensgegenstand "die Planung von Werbekampagnen, insbesondere die Platzierung der Werbung in Print- und Onlinemedien, Beratungsdienstleistungen für Unternehmen, die Vermarktung von Werbeflächen sowie alle damit zusammenhängenden Geschäfte" ist (§ 2 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages vom 31. August 2010). Das Stammkapital der Gesellschaft betrug 27.000,00 EUR, wovon jeder Gesellschafter einen Anteil von 4.500,00 EUR hielt (§ 5 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages vom 31. August 2010, Liste der Gesellschafter und der übernommenen Geschäftsanteile vom 31. August 2010). Zu Geschäftsführern wurden der Beigeladene zu 1 und U.... bestellt (II des Gründungsvertrages). Sie durften die Gesellschaft stets allein vertreten und waren von den Beschränkungen des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befreit.
Die Klägerin wurde am 22. September 2010 ins Handelsregister B des Amtsgerichts A.... - Registergericht - eingetragen (Handelsregisterauszug HRB …. vom 5. November 2020).
Im Gesellschaftsvertrag vom 31. August 2010 war ferner unter anderem ausgeführt:
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"§ 6 |
Veräußerung von Geschäftsanteilen |
1) Zur Veräußerung oder Belastung von Geschäftsanteilen oder von Teilen von Geschäftsanteilen und zum Abschluss von Stimmrechtsbindungsverträgen ist die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter erforderlich. Dies gilt auch für schuldrechtliche Vereinbarungen oder einseitige Verpflichtungen, die einer Abtretung wirtschaftlich gleichkommen, wie insbesondere Treuhandverträge sowie die Einräumung von Unterbeteiligungen. Die Zustimmung kann insbesondere davon abhängig gemacht werden, dass die Erwerber die weiteren Vereinbarungen, die zwischen den Gesellschaftern bestehen, gegen sich gelten lassen. |
... |
§ 10 |
Gesellschafterversammlung |
1) Beschlüsse der Gesellschaft werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, soweit nicht gesetzlich oder im Gesellschaftsvertrag andere Mehrheiten vorgeschrieben sind. |
... |
§ 11 |
Einziehung von Geschäftsanteilen |
... |
2) Die Einziehung erfolgt durch Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Der betroffene Gesellschafter hat dabei kein Stimmrecht. |
..." |
Am 10. März 2011 schlossen die Klägerin und der Beigeladene zu 1 einen "Anstellungsvertrag für Gesellschafter-Geschäftsführer". Dort war unter anderem ausgeführt:
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"§ 1 Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis |
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1) Herr C.... wird mit Wirkung vom 1. September 2010 zum Geschäftsführer der Gesellschaft bestellt und ist berechtigt und verpflichtet, die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich allein zu vertreten. |
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§ 2 Zustimmungspflichtige Geschäfte |
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1) Die Befugnis des Geschäftsführers umfasst die Vornahme aller Maßnahmen, die der gewöhnliche Geschäftsbetrieb der Gesellschaft mit sich bringt. |
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2) Für... |