Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. keine Nachzahlung von Analogleistungen für vergangene Zeiträume. Aktualitätsprinzip
Leitsatz (amtlich)
Die nachträgliche und rückwirkende Gewährung von Analogleistungen nach § 2 AsylbLG kommt nur bei fortbestehendem, aktuellem Bedarf in Betracht (sog Aktualitätsgrundsatz).
Orientierungssatz
1. Dass Leistungsberechtigte nach § 1 Abs 1 AsylbLG anders behandelt werden als Leistungsbezieher nach anderen Gesetzen der Sozialverwaltung steht der Anwendung des Aktualitätsgrundsatzes nicht entgegen.
2. Im Bereich der Analogleistungen als Sozialhilfeleistungen bei pauschal gedeckten Bedarfen im Falle rechtswidrig zu niedrig gewährter Leistungen ist regelmäßig nicht von einem noch fortdauernden Bedarf auszugehen (entgegen LSG Essen vom 17.5.2010 - L 20 AY 10/10).
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 28. September 2009 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger und Berufungskläger (im Folgenden: Kläger) für die Zeit von 01.06.2005 bis 31.01.2009 sog. Analogleistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gewähren sind.
Der am.1971 in T. geborene Kläger reiste vermutlich im Mai 2002 in die Bundesrepublik Deutschland ein und meldete sich am 30.05.2002 als Asylsuchender. Nach der asylverfahrensrechtlichen Zuweisung in eine Gemeinschaftsunterkunft in M. gewährte der damalige Landkreis M. dem Kläger ab 01.03.2003 mit Bescheid vom 29.01.2003 laufend Leistungen nach § 3 AsylbLG.
Am 14.12.2004 wurde dem Kläger von der Botschaft der Islamischen Republik in Berlin ein Reisepass ausgestellt, der zunächst bei der Ausländerbehörde verwahrt wurde. Auf seine Bitte, ihm diesen auszuhändigen, weil er nach Nordamerika weiterwandern wolle, wurde ihm der Pass ausgehändigt. Trotz mehrfacher Aufforderungen gab er ihn nicht wieder ab. Später gab er an, der Pass sei abhanden gekommen.
Seinen Antrag, ihm Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren, lehnte das damalige Landratsamt Mittweida mit Bescheid vom 19.06.2006 und bestätigendem Widerspruchsbescheid der Zentralen Ausländerbehörde beim damaligen Regierungspräsidium Chemnitz (jetzt: Landesdirektion Chemnitz; im Folgenden: ZAB) vom 12.12.2006 ab. Der Widerspruchsbescheid sei am 15.12.2006 zugegangen.
Hiergegen hat der Kläger am 15.01.2007 Klage beim Sozialgericht Chemnitz erhoben.
In Ausführung des Urteils des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 19.05.2008 im Verfahren des Klägers A 5 K 1748/02 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 30.10.2008 festgestellt, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 60 AufenthG hinsichtlich der Islamischen Republik Iran vorliegen. Am 01.12.2008 ist ihm ein bis 30.11.2011 gültiger Reiseausweis für Flüchtlinge ausgestellt und am 08.01.2009 eine bis 30.11.2011 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG vom Beklagten und Berufungsbeklagten (im Folgenden: Beklagten) erteilt worden. Am 03.03.2009 ist der Kläger nach D. umgezogen und bezieht jetzt Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat das Klageverfahren für die vergangenen Zeiträume fortgeführt und vorgetragen, ein Anspruch würde sich lediglich für die Zukunft erledigen, da dem Kläger mit Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nunmehr eine Beschäftigung möglich sei bzw. er Leistungen nach dem SGB II erlangen könnte. Durch das Beziehen von gekürzten Leistungen sei ihm Einkommen entgangen. Es bestehe ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse, da bei Feststellung der Rechtmäßigkeit der Klage ein Ersatzanspruch zu erheben sei. Dem ist der Beklagte entgegen getreten; er meint der Kläger habe sich rechtsmissbräuchlich verhalten, indem er sich weigerte, der Behörde seinen Reisepass auszuhändigen und hat sich insoweit auf die angegriffenen Bescheide bezogen.
Nach vorheriger Anhörung hat das Sozialgericht Chemnitz die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28.09.2009 abgewiesen, wie ein Anspruch des Klägers für die Vergangenheit jedenfalls mangels fortbestehenden Bedarfs nicht (mehr) gegeben sei. Es sei wieder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass insoweit noch ein Bedarf bestehe. Nach der neueren Rechtsprechung habe das Bundessozialgericht insoweit die frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt, wonach nicht mehr bestehende Bedarfe nicht mehr zu decken seien (sog. Aktualitätsgrundsatz).
Gegen den am 01.10.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Prozessbevollmächtigten des Klägers am Montag, den 02.11.2009, Berufung eingelegt und sein bisheriges Vorbringen wiederholt, wobei er sich insbesondere auf die Umstände des Passverlustes durch den Kläger bezog. Der nicht erfüllte Bedarf führe zu einer erheblichen Senkung des Lebensstandards, der bis heute nicht aufgefüllt worden sei. Die zum SGB II ergangene Rechtsprechung des BSG spreche ebenfalls für einen Anspruch des Kl...