Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Versäumung der Betreibensfrist. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Rechtsanwaltsverschulden. Organisationsverschulden. plötzliche schwere Erkrankung des Prozessbevollmächtigten. vorsorgliche Vertreterbestellung. Rücknahmefiktion. Wegfall des Rechtsschutzinteresses. Mitwirkungspflicht
Leitsatz (amtlich)
Ein Rechtsanwalt hat grundsätzlich alles ihm Zumutbare zu tun und zu veranlassen, damit die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird. Er hat hierbei hinreichende Vorkehrungen dafür zu treffen, dass im Fall seiner Erkrankung ein Vertreter die notwendigen Prozesshandlungen vornimmt. Ist er durch die Schwere der Erkrankung an der Einschaltung eines Vertreters durch ihn selbst oder an einer entsprechenden Anordnung an sein Büropersonal gehindert, muss seine Kanzlei allgemein angewiesen sein, zwecks Erledigung fristgebundener Geschäfte um eine Vertretung durch einen Anwaltskollegen bemüht zu sein oder erforderlichenfalls einen Antrag nach § 53 Abs 2 BRAO zu stellen (Anschluss an BGH, Beschluss vom 17.3.2005 - IX ZB 74/04 = BRAK-Mitt 2005, 181).
Normenkette
SGG § 156 Abs. 2, § 103 S. 1, § 67 Abs. 1, § 73 Abs. 6 S. 7; ZPO § 85 Abs. 2; BRAO § 53
Tenor
I. Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren, das unter dem Aktenzeichen L 3 AS 198/12 geführt worden ist, durch fingierte Berufungsrücknahme beendet ist.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten stritten ursprünglich über die Rücknahme und Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II). Nunmehr steht im Streit, ob die Berufung gemäß § 156 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches (SGG) als zurückgenommen gilt.
Der 1962 geborene Kläger bezog von der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der ARGE W… (im nachfolgenden: ARGE) in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Mai 2008 fortlaufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Im Januar 2008 erhielt diese Kenntnis, dass der Kläger im Jahr 2006 nicht angegebene Kapitaleinkünfte erzielt hatte. Es stellte sich heraus, dass der Kläger bei der Bausparkasse S…-H… während des Leistungsbezuges einen Bausparvertrag unterhalten hatte. Der aus dem Jahr 1995 stammende Bausparvertrag war sofort kündbar und wies am 31. Dezember 2004 ein Guthaben von 35.565,82 EUR und am 31. Mai 2007 ein solches von 38.308,24 EUR auf. Die Zuteilung des Bausparguthabens durch die Bausparkasse erfolgte am 31. Mai 2007. Hierbei wurde ein Betrag in Höhe von 35.437,50 EUR an die Mutter des Klägers ausgezahlt. Der verbleibende Restbetrag in Höhe von 2.870,74 EUR wurde auf einen neuen Bausparvertrag des Klägers übertragen. Der Kläger hatte sowohl bei der erstmaligen Antragstellung am 20. Oktober 2004 als auch in den Folgeanträgen bei den Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen die Existenz eines Bausparvertrages verneint.
Nach Anhörung des Klägers hob die ARGE mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 24. April 2008 die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Mai 2008 ganz auf und forderte die in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 29. Februar 2008 geleisteten Leistungen in Höhe von insgesamt 25.624,39 EUR zurück. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2009 zurückgewiesen.
Die am 6. Februar 2009 erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 13. Januar 2012 abgewiesen. Die Bescheide seien rechtmäßig und formell nicht zu beanstanden. Dem Kläger wäre es im gesamten Leistungszeitraum möglich gewesen, seinen Lebensunterhalt aus dem vorhandenen Vermögen zu bestreiten. Das Vermögen aus dem Bausparguthaben habe er bewusst verschwiegen.
Gegen das ihm am 18. Februar 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 16. März 2012 Berufung eingelegt, welche unter dem Aktenzeichen L 3 AS 198/12 geführt worden ist. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, dass der Rücknahme- und Erstattungsbescheid nicht hinreichend bestimmt sei. Im Übrigen sei es zur Schenkung des Geldes an seine Mutter gekommen, da diese während des Leistungsbezuges auch die Einzahlungen in den Bausparvertrag vorgenommen habe. Jedenfalls habe nach der erfolgten Schenkung ab dem 31. Mai 2007 Hilfebedürftigkeit bestanden.
Mit gerichtlichen Schreiben vom 9. November 2012 und 6. November 2013 ist der Kläger zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert worden, die die Schenkung sowie seinen Auszahlungswunsch gegenüber der Bausparkasse belegen könnten. Mit weiterem Schreiben vom 3. Februar 2014 ist er aufgefordert worden, verschiedene Unterlagen in Bezug auf die streitgegenständlichen Bausparverträge vorzulegen. Hierbei handelt es sich um den Kontoauszug 2007 für das Bausparkonto Nr. ...K01, die Kontoauszüge 2007 und 2008 für die Bausparkonten Nrn. ...K02 und ...K03 sowie die Bausparverträge für die Bausparkonten Nrn. ...K02 und ...K03. Ein...