Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgeld. Mehrbedarf. kostenaufwändige Ernährung. frühkindlicher Autismus. Erhöhter Aufwand an Zeit und personellen Ressourcen
Leitsatz (amtlich)
Bei einem an Autismus erkrankten Kind besteht kein Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung nach § 21 Abs 5 SGB 2, sofern sich weder ein qualitativer noch ein quantitativer Mehrbedarf nachweisen lässt. Auch Aufwendungen, die krankheitsbedingte Mehrkosten in quantitativer Hinsicht begründen, sofern sie anerkannt werden wollen, müssen nachgewiesen sein.
Normenkette
SGB II § 21 Abs. 5
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 20.12.2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind für beide Instanzen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwendiger Ernährung in der Zeit vom 01.06.2009 bis zum 30.11.2009.
Der am …2001 geborene Kläger lebt mit seinen Eltern N… und U… L… sowie seinem Bruder K… (geboren 1998) in einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Der Kläger ist an einem seit 2005 bekannten frühkindlichen Autismus erkrankt.
Die Familie bezog im streitigen Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.
Bis einschließlich Mai 2009 hatte der Beklagte dem Kläger Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung in Höhe von monatlich 25,56 € gewährt.
Mit Bewilligungsbescheid vom 07.05.2009, gerichtet an die Mutter des Klägers für die ganze Bedarfsgemeinschaft, bewilligte der Beklagte dem Kläger keinen Mehrbedarf mehr für kostenaufwendige Ernährung.
Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch leitete der Beklagte Ermittlungen durch Einholen einer gutachterlichen Äußerung des Ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit ein. Die ärztliche Stellungnahme vom 16.12.2009 ergab, dass zwar in der Lebenssituation des autistischen Kindes unter anderem ein Mehrbedarf an physischem Pflegeaufwand bei der Nahrungsaufnahme (zum Beispiel manuell bei der mundgerechten Zubereitung von Speisen oder eventuell unterstützend bei der oralen Zufuhr) bestehe, eine finanzielle Krankenkostzulage zur Regelung von krankheitsbedingt erhöhtem Ernährungsbedarf jedoch nach aktuellem Stand der Ernährungsmedizin bei Autismus nicht begründbar sei. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zur Krankenkostzulage im Sozialrecht sähen für die Erkrankung weder qualitativ noch quantitativ eine spezielle Kostform oder Diät vor. Demzufolge sei die Ernährung des autistisch erkrankten Kindes kostenneutral als Vollkost auf Grundlage marktüblich verfügbarer Lebensmittel, Speisen und Nahrungsrohstoffe in großer Angebotsbreite und über den Regelsatz zu realisieren.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.01.2010 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Dem Kläger sei kein Mehrbedarf wegen einer aus medizinischen Gründen kostenaufwendigen Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II zu gewähren. Zwar bestätige die Kinderärztin des Klägers in der ärztlichen Bescheinigung vom 16.05.2008 eine Autismuserkrankung sowie die Ernährung in Breiform, jedoch werde gemäß den neuen Erkenntnissen und Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. bei dieser Erkrankung ein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsaufwand verneint. Da jedoch die Empfehlungen des Deutschen Vereins ausschließlich für Erwachsene gelten, sei der Ärztliche Dienst eingeschaltet worden. Die Ermittlungen hätten jedoch keinen ernährungsbedingten Mehrbedarf beim Kläger ergeben. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins sähen für die Erkrankung weder qualitativ noch quantitativ eine spezielle Kostform oder Diät vor.
Hiergegen hat der Kläger am 25.01.2010 Klage beim Sozialgericht Chemnitz (SG) erhoben.
Die Autismuserkrankung erschwere seine Nahrungsaufnahme. Die Mutter müsse oft Nahrungsmittel wegwerfen, da der Kläger die Nahrungsaufnahme verweigere. Hierdurch fielen Mehrkosten an. Ein Essensprotokoll ist beigefügt worden.
Die behandelnde Kinderärztin hat bestätigt, dass selbst bei normaler Ernährung ein erhöhter Nahrungsmittelbedarf erforderlich sei, weil der Kläger relativ unberechenbar einen Großteil der Nahrung wieder erbreche, bzw. teilweise auch mutwillig zerstöre und auf den Boden werfe. Des Weiteren hat sie eine bestehende Zöliakie diagnostiziert, die sich dann im Laufe des Verfahrens jedoch als Irrtum herausstelle.
Am 26.11.2010 hat der Beklagte durch den ärztlichen Dienst, Dr. D. F…, Stellung genommen. Der Kläger leide allein an Autismus, die Diagnose Zöliakie sei zurückgezogen worden. Autismus bedinge im ernährungsphysiologischen Kontext selbst keine spezifische Zusammensetzung von Nahrung. Mehrausgaben entstünden durch Vollkost nicht. Dies habe der Gutachter des Ärztlichen Dienstes bereits am 16.12.2009 festgestellt. Es bestünden möglicherweise i...