Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rechtmäßigkeit eines Erstattungsbescheides. bestandskräftige Aufhebung der Bewilligung. kein Widerspruch gegen den Rücknahmebescheid. Berechnung der Widerspruchsfrist. Bekanntgabefiktion nur bei Feststellung des Zeitpunkts der Aufgabe bei der Post. Auslegung eines Widerspruchs nur bei unklarem Antrag. kein Wille zur Widerspruchseinlegung bei fehlender Kenntnis vom Verwaltungsakt. keine Nichtigkeit des Rücknahmebescheides. konkludente Rücknahme durch Änderungsbescheid
Leitsatz (amtlich)
1. Voraussetzung für die Bekanntgabefiktion des § 37 Abs 2 S 1 SGB 10 ist die Feststellung des Zeitpunktes, zu dem der maßgebende Verwaltungsakt zur Post gegeben wurde (Fortführung der Senatsrechtsprechung: LSG Chemnitz vom 18.3.2010 - L 3 AS 180/09).
2. Eine Auslegung setzt voraus, dass ein Antrag unklar ist. Erst bei einem unklaren Antrag muss das Gericht - und im Verwaltungsverfahren die Behörde - klären, was gewollt ist, und darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden.
3. Wenn ein Rechtsanwalt oder ein sonstiger rechtskundiger Bevollmächtigter einen konkreten und klaren Antrag stellt, besteht regelmäßig keine Veranlassung, diesen Antrag auszulegen. Dies gilt selbst dann, wenn bei objektiver Betrachtung ein engerer, weiterer oder gänzlich anderer Antrag sachgerecht gewesen wäre.
4. Wenn die Kenntnis von der Existenz eines Verwaltungsaktes fehlt, kann auch weder ein tatsächlicher noch ein mutmaßlicher Wille bestehen, einen Rechtsbehelf einlegen zu wollen.
5. Die (Teil)Rücknahme einer Leistungsbewilligung kann auch konkludent in einem Änderungsbescheid enthalten sein, weil gesetzlich keine bestimmte Form für einen Rücknahmebescheid vorgegeben ist.
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 23. Juli 2009 aufgehoben, soweit der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 17. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2008 aufgehoben worden ist. Die Klage gegen den Erstattungsbescheid vom 17. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2008 wird abgewiesen.
II. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren und im Verfahren vor dem Sozialgericht Chemnitz, soweit es die Klage gegen den Erstattungsbescheid vom 17. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2008 betrifft, sind nicht erstattungs-fähig.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Rückforderung von insgesamt 4.698,72 EUR, die die Leistungszeiträume vom 1. Januar 2005 bis zum 30. April 2006 betreffen, streitig.
Der 1956 geborene, erwerbsfähige Kläger beantragte am 22. Dezember 2004 bei der Agentur für Arbeit C… Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Auf dem Teil des Antragsformulars, das die Einkommens- und Vermögensverhältnisse betrifft, sind die Leerstellen bei der Frage nach Einkommen aus “Rente/Pension„ gestrichen worden.
Auf den Antrag des Klägers vom 18. Januar 2005 zahlte ihm die ARGE C… (im Folgenden: ARGE) am selben Tag einen Vorschusses in Höhe von 331,00 EUR.
Die ARGE bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 10. März 2005 Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. April 2005 in Höhe von monatlich 584,51 EUR.
Im Fortzahlungsantrag vom 12. April 2005 gab der Kläger an, dass keine Änderungen eingetreten seien. Die ARGE bewilligte ihm daraufhin mit Bescheid vom 25. April 2005 Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Mai 2005 bis 31. Oktober 2005 in Höhe von erneut 584,51 EUR monatlich.
Der Kläger stellte am 16. September 2005 einen weiteren Fortzahlungsantrag, in dem er erneut angab, dass keine Änderungen eingetreten seien. Mit Bescheid vom 25. September 2005 bewilligte die ARGE dem Kläger Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. November 2005 bis 30. April 2006 in Höhe von erneut 564,51 EUR.
Die ARGE führte am 12. Dezember 2005 einen Datenabgleich durch, im Rahmen dessen sie feststellte, dass der Kläger in der Zeit vom 1. Juli 2005 bis 30. September 2005 laufende Rentenzahlungen aus einer Unfallversicherung in Höhe von monatlich 323,67 EUR bezogen hatte.
Auf die Aufforderung der ARGE reichte der Kläger am 20. Februar 2006 in Kopie ein Schreiben des Kommandeurs der Dienststelle der Deutschen Volkspolizei vom 16. März 1989 ein, wonach der Unfall vom 14. Februar 1989 als Dienstunfall anerkannt wurde. Ferner reichte er unter anderem den Unfall-Rentenbescheid des Kreisvorstandes des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) vom 27. November 1990 und die Leistungsmitteilung der Deutschen Post AG vom 1. Juli 2003 für die Unfallkasse des Bundes ein. Danach betrug ab 1. Juli 2003 der monatliche Zahlungsbetrag 323,67 EUR.
Mit Schreiben vom 6. April 2006 hörte die ARGE den Kläger zur beabsichtigten Rückforderung von Arbeitslosengeld II an. Er habe in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. April 2...