Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkende Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung. Beschäftigungsaufnahme. Verletzung der Mitteilungspflicht. Rechtsirrtum. Verringerung der Erstattungsforderung. Berücksichtigung des Arbeitslosengeldes als Einkommen bei der Bemessung von Leistungen nach dem SGB 2. keine analoge Anwendung von § 107 SGB10. Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten. Forderungserlass. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Soweit ein Empfänger von Arbeitslosengeld Überlegungen anstellt und rechtsirrig davon ausgeht, dass er keiner Mitteilungspflicht unterliegt, geht ein solcher Rechtsirrtum zu seinen Lasten und lässt den Verschuldensvorwurf nicht entfallen. Etwas anderes gilt nur, wenn der Rechtsirrtum unvermeidbar war.

2. Eine Rechtsgrundlage für die Reduzierung der Erstattungsforderung im Hinblick darauf, dass das von einem Kläger bezogene Arbeitslosengeld als Einkommen bei der Bemessung des Anspruches auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB 2 berücksichtigt worden ist, besteht nicht.

3. Die Erstattungspflicht gegenüber der Bundesagentur für Arbeit hat im Verhältnis zum Träger der Grundsicherung lediglich die Bedeutung, dass der Hilfebedürftige (erst) von diesem Zeitpunkt an mit Schulden (gegenüber der Bundesagentur für Arbeit) belastet ist. Solche Verpflichtungen sind grundsätzlich bei der Bestimmung der Hilfebedürftigkeit unbeachtlich.

4. Es bedarf, um eine Verringerung der Erstattungsforderung im Einzelfall zu erreichen, keiner analogen Anwendung von § 107 SGB 10. Denn es gibt den Weg über den (Teil)Erlass der Erstattungsforderung.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 04.07.2023; Aktenzeichen B 11 AL 18/23 B)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 12. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten im Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld sowie der damit verbundenen Forderung auf Erstattung von Arbeitslosengeld und Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) für die Zeit vom 24. September 2018 bis zum 31. Oktober 2018 in Höhe von insgesamt 1.068,78 EUR.

Die 1979 geborene Klägerin meldete sich am 12. Februar 2018 arbeitssuchend und beantragte zum 16. März 2018 die Zahlung von Arbeitslosengeld. Am 13. März 2018 meldete sie sich persönlich arbeitslos. Am Ende des Antragsformulars versicherte die Klägerin handschriftlich unter anderem, das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 4. April 2018 für 360 Kalendertage vom 16. März 2018 bis zum 14. März 2019 Arbeitslosengeld in Höhe von täglich 22,81 EUR.

Daneben bezogen die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin, zu der neben ihr noch ihre 2005 und 2007 geborenen Kinder gehören, aufstockend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Vom zuständigen Jobcenter wurden für September 2018 Leistungen in Höhe von insgesamt 178,16 EUR und für den Oktober 2018 in Höhe von 205,45 EUR bewilligt. Das Einkommen der Klägerin aus Arbeitslosengeld, welches um die Versicherungspauschale von 30,00 EUR bereinigt wurde, wurde hierbei anspruchsmindernd berücksichtigt.

Am 19. September 2018 schloss die Klägerin mit der Y... GmbH A... einen auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag im Umfang von 35 Stunden wöchentlich ab. Die Klägerin nahm die Beschäftigung am 24. September 2018 auf.

Am 25. September 2018 kündigte die Klägerin auf Grund der Aussicht auf eine unbefristete Beschäftigung mit Wirkung zum 26. September 2018 das Arbeitsverhältnis. Die Klägerin wurde für den 25. September 2018 und 26. September 2018 durch den Arbeitgeber freigestellt. Sie erhielt für 8,41 Stunden einen Verdienst von 78,80 EUR brutto und 62,19 EUR netto. Das Beschäftigungsverhältnis teilte sie der Beklagten nicht mit.

Mit Veränderungsmitteilung vom 1. Oktober 2018 teilte die Klägerin der Beklagten mit, ab dem 1. November 2018 eine unbefristete Beschäftigung als Sachbearbeiterin bei der Firma X... aufzunehmen.

Die Beklagte hob mit Bescheid vom 25. Oktober 2018 die Bewilligung von Arbeitslosengeld bestandskräftig ab dem 1. November 2018 auf.

Anhand eines Datenabgleichs erhielt die Beklagte im November 2018 Kenntnis von der Beschäftigung der Klägerin im September. Mit Schreiben vom 19. November 2018 wurde die Klägerin zur möglichen Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld angehört.

Die Beklagte hob mit Bescheid vom 29. November 2018 die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 24. September 2018 bis zum 31. Oktober 2018 auf und forderte die Erstattung für diesen Zeitraum erbrachten Leistungen in Höhe von 843,97 EUR sowie der Versicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 27. September bis zum 31. Oktober 2018 in H...

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