Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht oder bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Fortbestehen des Freizügigkeitsrechts. Fortwirkung der Arbeitnehmereigenschaft. Arbeitsunfall kurz nach Aufnahme einer unbefristeten Erwerbstätigkeit. Entgeltfortzahlung und Bezug von Krankengeld. betriebsbedingte Kündigung nach mehr als einem Jahr andauernder Arbeitsunfähigkeit. positive Prognose bezüglich der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit. Bestätigung der Agentur für Arbeit über unfreiwillige Arbeitslosigkeit. Aufenthaltsrecht aus Art 10 EUV 492/2011. Einkommensberücksichtigung. Kindergeldnachzahlung. laufende Einnahme oder einmalige Einnahme. Berücksichtigung im Zuflussmonat
Leitsatz (amtlich)
1. Die Nachzahlung von Kindergeld stellt nach der bis zum 1.8.2016 geltenden Rechtslage eine laufende Einnahme iS des § 11 Abs 2 SGB II dar, die allein im Monat des Zuflusses angerechnet wird.
2. § 2 Abs 3 S 1 Nr 2 FreizügG/EU (juris: FreizügG/EU 2004) findet Anwendung, wenn ein Arbeitnehmer mit unbefristetem Arbeitsvertrag nach wenigen Wochen Erwerbstätigkeit infolge eines Arbeitsunfalles arbeitsunfähig wird, er in der Folge Entgeltfortzahlung bzw Krankengeld bezieht und das Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber erst nach mehr als einem Jahr betriebsbedingt gekündigt wird, sofern grundsätzlich prognostisch mit der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit zu rechnen ist.
3. Mit der Unfreiwilligkeitsbescheinigung bestätigt die Bundesagentur für Arbeit sowohl die Arbeitslosigkeit als auch deren Unfreiwilligkeit. Die Bescheinigung ist ein feststellender Verwaltungsakt iS des § 31 SGB X und seine Änderung unterliegt den Einschränkungen der §§ 44 SGB X.
4. Das Aufenthaltsrecht nach Art 10 Abs 1 VO (EU) Nr 492/2011 (juris: EUV 492/2011) setzt nicht voraus, dass der die Sorge ausübende Elternteil zum Zeitpunkt der Aufnahme seiner Kinder in eine Bildungseinrichtung bzw. bei Wohnsitznahme nach wie vor Wanderarbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat ist. Es genügt, dass der sorgende Elternteil zuvor Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin iS des Art 45 AEUV war.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 7. Juli 2021 abgeändert.
Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 17. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2016 verurteilt, an die Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II dem Grunde nach für die Zeit von 1. Januar 2016 bis 28. Februar 2016 und vom 1. April 2016 bis 30. Juni 2016 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat den Klägern 5/6 ihrer außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten. Im Übrigen sind die außergerichtlichen Kosten nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Anspruch der Kläger auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum vom 01.01.2016 bis 30.06.2016.
Die Kläger sind polnische Staatsbürger. Der 1987 geborene und mit der 1987 geborenen Klägerin zu 2 verheiratete Kläger zu 1 reiste am 28.06.2012 zunächst allein in die Bundesrepublik Deutschland ein und hielt sich seitdem im Bundesgebiet auf.
Im Zeitraum vom 15.07.2013 bis 31.01.2015 bestand zwischen dem zu dieser Zeit in V.... bzw. U.... lebenden Kläger zu 1 und dem Unternehmen T.... , „Renovierung rund ums Haus“ in S.... ein unbefristeter Arbeitsvertrag. Im Juli 2013 verdiente der Kläger zu 1 brutto 1.256,33 EUR (netto 678,26 EUR). Im August und September 2013 zahlte der Arbeitgeber nach steuer- und sozialrechtlichen Abzügen jeweils 1.200,00 EUR netto an den Kläger zu 1 aus. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 21.01.2015 betriebsbedingt. Ausweislich des Kündigungsschreibens sei der Kläger zu 1 durch gesundheitliche Beeinträchtigungen nicht mehr in der Lage, körperliche Arbeit zu verrichten, die eine Tätigkeit auf Baustellen mit sich bringe. Da eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb nicht bestehe, sei die Kündigung unvermeidbar (Blatt 27 der Verwaltungsakte des Beklagten).
Er erlitt am 05.08.2013 während seiner Beschäftigung einen Arbeitsunfall, infolge dessen er sich Bewegungseinschränkungen im Ellenbogengelenk rechts, Instabilität im körperfernen Ellen-Speichen-Gelenk, ein Sensibilitätsdefizit im Unterarm, leichte Paresen sowie Kraftverlust der Finger nach körperfernem Bruch der Speiche, des Speichen-Halses und -köpfchens rechts sowie eine Verschiebung des linken Ellenbogengelenkes zuzog und arbeitsunfähig wurde. Sein Arbeitgeber leistete bis zum 03.10.2013 Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Danach zahlte er bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit keinen Lohn an den Kläger zu 1 mehr. Dieser bezog vielmehr vom 04.10.2013 bis zum 01.02.2...