Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Anspruch auf Zweitversorgung mit einem Hilfsmittel für den Besuch einer vorschulischen Kindereinrichtung erst ab Vollendung des dritten Lebensjahres. Besuch einer vorschulischen Kindereinrichtung. Kostenerstattungsanspruch. Abstellen für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung des vorleistenden Trägers
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Anspruch auf Zweitversorgung mit einem Hilfsmittel nach § 33 Abs 1 SGB V für den Besuch einer vorschulischen Kindereinrichtung besteht erst ab Vollendung des dritten Lebensjahres (Anschluss an BSG vom 3.11.2011 - B 3 KR 13/10 R (Parallelentscheidung zu BSG vom 3.11.2011 - B 3 KR 8/11 R = BSGE 109, 199 = SozR 4-2500 § 33 Nr 37).
2. Bei einem Kostenerstattungsanspruch nach § 14 Abs 4 S 1 SGB IX (in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung) ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung des (vor-)leistenden Trägers abzustellen (vergleichbar dem Zeitpunkt der verbindlichen Selbstbeschaffung im Rahmen des Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs 3 SGB V).
3. Hat der Versicherte im Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet, scheidet ein Leistungsanspruch nach § 33 Abs 1 SGB V und damit auch ein Kostenerstattungsanspruch des (vor-)leistenden Trägers gegen die Krankenkasse nach § 14 Abs 4 S 1 SGB IX aus.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Z... vom 16. Oktober 2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Revision wird zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 3.227,42 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für eine Zweit-Versorgung eines Versicherten mit einem Therapiestuhl für die Kindertagesstätte.
Der 2013 geborene Versicherte ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er leidet vorrangig an einer Chromosomenanomalie (Chromosom 6) mit komplexer Entwicklungsstörung, Verdacht auf (hyperkinetisch) dyskinetische Cerebralparese mit assoziierter Schluck- und Fütterungsstörung bei Hydrocephalus internus und stammbetonter Hypertonie. Vom Kläger erhält er im Rahmen einer ganzheitlichen Komplexleistung Eingliederungshilfe in Form von ganzheitlicher therapeutischer und heilpädagogischer Frühförderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) (Bescheid vom 20.04.2016). Dem lag u. a. der Bericht der Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche Z..., Abteilung für Neuro- und Sozialpädiatrie (Sozialpädiatrisches Zentrum SPZ) vom 15.12.2015 zu Grunde, in welchem sowohl die Fortführung des aktuellen (häuslichen) Förderprogramms als auch der Besuch einer heilpädiatrischen Kindertagesstätte dringend empfohlen worden waren. Von der Beklagten wurde er u. a. mit einem Therapiestuhl für den häuslichen Bereich versorgt.
Am 22.03.2016 wurde für den Versicherten bei der Beklagten auf der Grundlage der Verordnung von Dr. Y..., Assistenzarzt am SPZ, vom 15.03.2016 über einen Therapiestuhl "Nele" mit Kopfstütze, Therapietisch sowie Brust- und Beckenbegurtung und des Kostenvoranschlags der X.... über Gesamtkosten i. H. v. 3.227,42 EUR die Versorgung mit einem Therapiestuhl für die Kindertagesstätte beantragt. Am selben Tag leitete die Beklagte den Antrag zuständigkeitshalber an den Kläger weiter, da eine Zweitversorgung für Kinder unter drei Jahren nicht zum Leistungsspektrum der GKV gehöre. Nachdem der Kläger eine Stellungnahme von Dipl. Med. W..., Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin im Gesundheitsamt des Klägers, eingeholt - und diese angesichts der generalisierten Schädigung des Versicherten die Notwendigkeit der Versorgung mit dem beantragten Therapiestuhl vom ersten Kindergartentag an bestätigt - hatte, bewilligte der Kläger dem Versicherten mit Bescheid vom 14.06.2016 die Übernahme der Kosten für das beantragte Hilfsmittel (und nahm am 31.08.2016 die Auszahlung des Zahlbetrages an die X.... vor). Mit Vertrag vom 01.07.2016 erfolgte die Aufnahme des Versicherten in die Kindertagesstätte V... (die Eingewöhnung hatte bereits am 16.06.2016 begonnen).
Mit bei der Beklagten am 17.06.2016 eingegangenem Schreiben vom 15.06.2016 machte der Kläger einen Erstattungsanspruch nach § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) hinsichtlich der bewilligten und verauslagten Kosten für den Therapiestuhl geltend. Zur Begründung führte er aus, nach § 22 Abs. 2 und 3 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) i. V m. § 2 Abs. 3 des Sächsischen Gesetzes zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen (SächsKitaG) zielten die in den Kindertagesstätten durchgeführten Bildungs-, Erziehungs- und Fördermaßnahmen auch auf das Erreichen der Schulfähigkeit im Sinne einer Grundvoraussetzung für den Erwerb einer elementaren Schulbildung ab und dienten damit der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens i. S. v. § 33 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB...