Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Einkommenberücksichtigung. Kindergeld für volljähriges Kind. befristeter Zuschlag nach Arbeitslosengeldbezug. Berücksichtigung bei der Bedarfsermittlung. Berechnung des Unterschiedsbetrages. Anteil des Hilfebedürftigen am Arbeitslosengeld II der Bedarfsgemeinschaft als Vergleichswert. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Hat die Familienkasse die Auszahlung des Kindergeldes nach § 74 EStG an das volljährige Kind abgelehnt, weil diesem durch Unterbringung im elterlichen Haushalt Betreuungsunterhalt in ausreichender Höhe gewährt werde, so ist das an das Kind weitergeleitete Kindergeld nach § 11 Abs 1 SGB 2 als Einkommen nicht dem kindergeldberechtigten Elternteil, sondern dem Kind zuzurechnen.
2. Unter verfassungskonformer Auslegung ist der befristete Zuschlag nach § 24 SGB 2 nicht akzessorisch zum Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, sondern er ist gem § 19 S 1 SGB 2 Bestandteil des Arbeitslosengeld II und daher bei der Bedarfsberechnung als Teil des Gesamtbedarfs zu berücksichtigen.
3. Unter verfassungskonformer Auslegung ist bei der Berechnung des Unterschiedsbetrages nach § 24 Abs 2 SGB 2 der Summe des zuletzt bezogenen Arbeitslosengeldes und Wohngeldes des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nicht der Gesamtbetrag des an alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu zahlenden Arbeitslosengeld II gegenüberzustellen, sondern nur der auf den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen entfallende individuelle Anteil des Arbeitslosengeld II.
4. Verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf den Abzug einer Pauschale für die Warmwasseraufbereitung von den Heizungskosten (§ 22 SGB 2), den vom Einkommen abzusetzenden Pauschbetrag für Privatversicherungen (§ 11 Abs 2 SGB 2 iVm § 3 AlgIIV) und die Höhe der Regelleistungen (§§ 20ff SGB 2) bestehen nicht.
Nachgehend
Tenor
I. Die Urteile des Sozialgerichts Chemnitz vom 29. Juni 2005 (S 12 AS 224/05) und vom 24. Januar 2006 (S 6 AS 1378/05; S 2 AS 1397/05; S 2 AS 1420/05) sowie die Bescheide der Beklagten vom 14.01.2005 in der Fassung vom 21.01.2005 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.04.2005, vom 19.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10.2005 und vom 28.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2005 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin der Zeit vom 01.01.2005 bis 31.07.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe unter Berücksichtigung eines befristeten Zuschlages gemäß § 24 SGB II, der nach § 24 Abs. 2 und 3 SGB II zu berechnen ist, und unter Außerachtlassung des Kindergeldes für den Sohn J2 H. zu gewähren.
III. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
IV. Die Beklagte hat der Klägerin 4/5 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Verfahrenszüge zu erstatten.
V. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab 01.01.2005 bis 31.01.2006.
Die am ... 1961 geborene Klägerin ist mit B. H. (B.H.), geboren am ... 1957 verheiratet. Sie ist erwerbsfähig und hat zwei eheliche Kinder, J2 H., geb. am ... 1984 und J1 H., geb. ... 1989, der noch die Schule besucht.
Die Klägerin bezog bis 28.07.2004 Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von 121,31 € wöchentlich (17,33 € täglich) und anschließend Arbeitslosenhilfe (Alhi), nämlich vom 29.07.2004 bis 31.08.2004 in Höhe von 48,02 € wöchentlich, im November 2004 in Höhe von 442,20 € und im Dezember 2004 in Höhe von 456,94 € wöchentlich.
B.H. bezieht seit 01.10.2004 Alg, zunächst in Höhe von 1.181,40 € monatlich (39,22 € täglich), ab 01.01.2005 in Höhe von 1.196,70 € monatlich (39,89 € täglich) .
Der Sohn J2 H., der bis zum 31.07.2005 im Haushalt seiner Eltern lebte, bezog Alg in Höhe von wöchentlich 94,78 €.
Das Kindergeld beträgt insgesamt 308,00 € (154,00 € für J1 H. und 154,00 € für J2 H.). Der Antrag des Sohnes J2 H. auf Abzweigung des Kindergeldes wurde von der Familienkasse mit Bescheid vom 03.01.2005 abgelehnt, da dieser im Haushalt eines Kindergeldberechtigten lebe. Durch die Haushaltsaufnahme werde ihm in ausreichender Höhe Unterhalt gewährt.
Mit Mietvertrag vom 16.12.2003 mieteten die Eheleute H. ab dem 01.04.2004 eine 4-Zimmer-Wohnung mit 108 qm für 430,00 € zuzüglich 173,00 € Betriebskostenvorauszahlung (jeweils 86,50 € für Heizungs- und Warmwasserkosten bzw. übrigen Betriebskosten) monatlich. Ab 01.07.2005 erhöhte der Vermieter die monatlichen Vorauszahlungen für Heizung auf 108,20 € und somit die Gesamtmiete auf 620,10 €.
Am 20.12.2004 stellte die Klägerin Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.
Mit Bescheid vom 14.01.2005 lehnte die Beklagte für den Zeitraum 01.01.2005 bis 31.01.2005 den Antrag ab, da die Klägerin auf Grund der nachgewiesenen Einkommensverhältnisse nicht hilfebedürftig sei. Das Gesamtei...