Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Grundurteil bei Leistungsklage. Eingliederungshilfe. Mehrbedarf behinderter Hilfebedürftiger. kein abtrennbarer Streitgegenstand. Zuständigkeitsklärung
Leitsatz (amtlich)
1. Auch bei Leistungsklagen nach dem SGB 2 und SGB 12 kann gem § 130 SGG zur Leistung dem Grunde nach verurteilt werden (vgl BSG vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 2/06 R = BSGE 99, 131 = SozR 4-3500 § 28 Nr 1 und vom 21.12.2009 - B 14 AS 61/08 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 17).
2. Der Anspruch auf Mehrbedarf nach § 21 Abs 4 SGB 2 setzt die Teilnahme an einer regelförmigen Maßnahme voraus (Anschluss an BSG vom 22.3.2010 - B 4 AS 59/09 R = SozR 4-4200 § 21 Nr 9).
3. Der Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 54 SGB 12 kann gegenüber dem Träger der Grundsicherung nach dem SGB 2 bestehen, wenn dieser den Antrag nicht fristgerecht gem § 14 SGB 9 an den zuständigen Träger weitergeleitet hat (vgl BSG vom 20.11.2008 - B 3 KN 4/07 KR R = BSGE 102, 90 = SozR 4-2500 § 33 Nr 21).
Orientierungssatz
1. Bei dem Anspruch auf Mehrbedarf gem § 21 Abs 4 SGB 2 handelt es sich nicht um einen abgrenzbaren Teil des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, der eigenständig geltend gemacht werden kann (entgegen LSG Chemnitz vom 27.8.2009 - L 3 AS 245/08 und vom 15.2.2010 - L 3 AS 780/09 NZB, vgl BSG vom 18.2.2010 - B 4 AS 28/09 R = FEVS 62, 6 und vom 22.3.2010 - B 4 AS 59/09 R aaO).
2. Ein Anspruch auf Eingliederungshilfe für behinderte Menschen iS des § 54 SGB 12 scheitert nicht daran, dass der Hilfebedürftige zu den Anspruchsberechtigten nach dem SGB 2 zählt.
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 7. März 2008 und die Bescheide vom 12.10.2005 und 06.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2006 geändert. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Zeitraum 01.10.2005 bis 30.09.2006 unter Berücksichtigung von Eingliederungshilfe für den Kläger zu 1 in Höhe von insgesamt 87,00 EUR zu leisten. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Rechtszügen zu einem Zehntel zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe der den Klägern von Oktober 2005 bis September 2006 zustehenden Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Insbesondere ist streitig, ob hierbei ein Mehrbedarf des Klägers und Berufungsbeklagten zu 1 (im Folgenden: Kläger zu 1) nach § 21 Abs. 4 SGB II zu berücksichtigen ist.
Die 1948 und 1950 geborenen und seit 1972 miteinander verheirateten Kläger und Berufungsbeklagte (im Folgenden: Kläger) bewohnen eine 57 m² große Mietwohnung mit einer Kaltmiete von 270,84 EUR zuzüglich 44,07 EUR Heizkosten sowie 64,18 EUR sonstige Nebenkosten. Der Kläger zu 1 ist auf Grund eines Gehörschadens schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 und trägt ein Hörgerät. Er arbeitete im streitgegenständlichen Zeitraum als Hausmeister für eine Wohnungsverwaltungsfirma. Die Klägerin und Berufungsbeklagte zu 2 bezog bis 15.10.2005 Arbeitslosengeld in Höhe von 17,07 EUR täglich. Des Weiteren übte sie eine Beschäftigung im Dienstleistungscenter H… aus, bei der sie 165,00 EUR monatlich verdiente.
Mit Bescheid vom 12.10.2005 bewilligte der Beklagte und Berufungskläger (im Folgenden: Beklagte) den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 114,51 EUR für Oktober 2005 und 439,16 EUR monatlich für November 2005 bis März 2006. Mit Widerspruch vom 23.10.2005 trugen die Kläger vor, die Berechnung für Oktober 2005 sei nicht korrekt. Des Weiteren sei die Schwerbehinderung des Klägers zu 1 nicht hinreichend berücksichtigt worden. Mit weiterem Bescheid vom 06.03.2006 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 439,16 EUR monatlich für die Monate April bis September 2006. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch vom 17.03.2006 trugen die Kläger erneut vor, die Schwerbehinderung des Klägers zu 1 sei nicht hinreichend berücksichtigt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 05.05.2006 wies der Beklagte die Widersprüche vom 23.10.2005 und 17.03.2006 gegen die Bescheide vom 12.10.2005 und 06.03.2006 zurück. Die Berechnung des Einkommens sowie des Leistungsanspruchs für den Monat Oktober 2005 sei unter Berücksichtigung des ganzen Monats vorzunehmen, auch wenn der Bezug von Arbeitslosengeld am 15.10.2005 geendet habe. Die Gewährung eines Mehrbedarfes nach § 21 Abs. 4 SGB II komme nicht in Betracht, weil die Versorgung mit dem Hörgerät durch die Krankenkasse erfolgt sei und dies keine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) sei. Vielmehr handele es sich um ein Hilfsmittel nach § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), welches nicht speziell zur Erlangung oder Erhaltung des Arbeitsplatz...