Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachteilsausgleich in der gesetzlichen Rentenversicherung für verfolgte Schüler iSd § 3 BerRehaG
Leitsatz (amtlich)
Dem Kläger steht auch unter Berücksichtigung der Entscheidung der Rehabilitierungsbehörde, wonach er als verfolgter Schüler iSd BerRehaG anerkannt wurde, kein Anspruch auf Gewährung einer höheren Regelaltersrente zu. Zwar ist die Vorschrift des § 12 Abs 2 BerRehaG auf den Kläger anwendbar. Auch sind ihre Voraussetzungen erfüllt. Hieraus leitet sich jedoch kein Anspruch auf Nachteilsausgleich in der Rentenversicherung ab. Dies hat der Gesetzgeber für verfolgte Schüler nicht vorgesehen.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch darüber, ob die Beklagte unter Abänderung des Rentenbescheides vom 16. Juni 2010 in der Fassung des Rentenbescheides vom 23. März 2015 verpflichtet ist, Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung nach der Vorschrift des § 12 Abs. 2 Berufliches Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) im doppelten Umfang zu berücksichtigen.
Der am … 1945 geborene Kläger besuchte bis 1961 die Schule, wobei er laut seinem Sozialversicherungsausweis (SV-Ausweis) nach einer Schulzeit von 1952 bis 1960 (Grundschule) den Abschluss der 8. Klasse erlangte (Bl. 241 Verwaltungsakte [VA] Bd. 1). Am 2. November 1961 floh er in die Bundesrepublik Deutschland (BRD). Vom 2. November bis 22. Dezember 1961 und vom 8. Februar bis 9. März 1962 arbeitete er als Maurer bei der Fa. H… GmbH in H…. Vom 2. bis 4. Januar war er als Molkereilehrling tätig (vgl. Versicherungskarte der AOK H…, Bl. 141 VA Bd. I). Am 13. März 1962 wurde er von bundesdeutschen Behörden als Minderjähriger an die Behörden der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) übergeben und befand sich bis zum 18. April 1962 in Durchgangsheimen bzw. -lagern in G… (im heutigen S…), wofür er rehabilitiert wurde (vgl. Rehabilitationsbeschluss des Landgerichts G… vom 30. Juni 2004 - Bl. 150 ff. VA Bd. 1). Bei einer Vernehmung durch die Volkspolizei am 19. März 1962 gab der Kläger u.a. an, während seines Aufenthaltes in der BRD eine Maschinenschlosserlehre begonnen zu haben (Bl. 192 VA Bd. 1).
Nach seiner Rückkehr arbeitete er als Traktorist und absolvierte von 1966 bis 1968 eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer bei der Bezirksdirektion für Kraftverkehr C…, die er mit Facharbeiterzeugnis vom 14. Dezember 1968 abschloss (vgl. Kopie SV-Ausweis Bl. 241 VA Bd. 1 sowie FA-Zeugnis Bl. VA Bd. 2 - nicht paginiert). Ab dem 5. Mai 1972 arbeitete er laut Eintragung im SV-Ausweis als Kraftfahrer (Bl. 240 VA Bd. 1) und schloss am 2. Juli 1973 einen zweijährigen Vorbereitungslehrgang auf ein Fachschulstudium an der Kreisvolkshochschule S… ab, wobei er laut Zeugnis mit Abschluss des Lehrganges auch den Abschluss der 10. Klasse erreichte (vgl. Zeugnis Bl. 6 Gerichtsakte [GA]). Am 1. Juli 1975 beendete er eine Ausbildung in der Fachrichtung Transportbetriebstechnik mit der Qualifikation als Meister (Bl. 7 GA). Das Sächsische Landesamt für Familie und Soziales erteilte dem Kläger mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2003 eine Rehabilitierungsbescheinigung, wonach die Rechtsstaatswidrigkeit der Nichtzulassung der Fortführung der Schulausbildung an der allgemeinbildenden zehnklassigen Oberschule und zu einer Facharbeiterausbildung festgestellt (Ziffer 1 des Bescheides) und bescheinigt wurde, dass der Kläger von Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 3 Abs. 1 BerRehaG (Verfolgter Schüler) betroffen war (Ziffer 3 des Bescheides). Als Zeitraum der verfolgungsbedingten Unterbrechung der Ausbildung nach § 22 Abs. 2 BerRehaG wurde der 1. September 1962 bis 31. August 1972 festgestellt (Ziffer 4 des Bescheides, Bl. 51 ff. VA Bd. 1). Maßgeblich hierfür war nach den Gründen des Bescheides der 1. September 1962 als Zeitpunkt der fiktiven Wiederaufnahme der abgebrochenen Schulausbildung in der 10. Klasse sowie der 31. August 1972, weil am 1. September 1972 der Kurs an der Volkshochschule im 2. Unterrichtsjahr begonnen habe (vgl. Bl. 89 VA Bd. 2). In Auswertung der Unterlagen sei die Nichtzulassung für den Besuch der allgemeinbildenden zehnklassigen Oberschule bzw. zu einer Lehrausbildung auf der Grundlage einer schlechthin rechtsstaatswidrigen hoheitlichen Maßnahme im Sinne der §§ 1 Abs. 1, 2 VwRehaG als glaubhaft zu unterstellen. Die Wahrnehmung der Schulpflicht für die zehnklassige Oberschule sei dem Kläger verwehrt worden. Zwar habe er die Schule durch seine Entscheidung zur Ausreise selbst abgebrochen. Nach seiner Rückkehr habe er jedoch als minderjähriger Bürger das Recht auf einen Ausbildungsplatz gehabt. Stattdessen habe er die Anweisung für den Abschluss eines Arbeitsvertrages erhalten. In der Sachverhaltsdarstellung zum Bescheid wird hierzu ausgeführt, im Archiv des Landratsamtes M… sei ein vom Kläger am 10. August 1962 unterzeichneter Ar...