Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahren zur Feststellung einer Behinderung. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erhebung von Verwaltungskosten. kommunale Kostensatzung. Gebühr für die Akteneinsichtsgewährung. Portokosten. Kostenfreiheit

 

Leitsatz (amtlich)

Soweit kommunale Satzungen auch für Verfahren im Anwendungsbereich des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB 10) die Erhebung von Kosten (Gebühren und Auslagen) vorsehen, verstoßen derartige Regelungen gegen höherrangiges Recht in Gestalt des Grundsatzes der Kostenfreiheit nach § 64 Abs 1 SGB 10 und sind daher - im Wege einer geltungserhaltenden Auslegung der Satzung - in dem entsprechenden Verfahren nicht anzuwenden.

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 25.01.2011 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat dem Kläger auch die notwendig entstandenen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Erhebung von Verwaltungskosten im Rahmen eines Verfahrens auf dem Gebiet des Schwerbehindertenrechts.

Der Kläger beantragte am 09.07.2009 bei dem Beklagten die Feststellung einer Behinderung, des Grades der Behinderung (GdB) und die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises nach § 69 SGB IX.

Mit Bescheid vom 16.04.2010 stellte der Beklagte den GdB mit 40 fest.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 24.11.2009 Widerspruch ein und beantragte gleichzeitig die Gewährung von Akteneinsicht im Wege der Übersendung der Verwaltungsakte. Mit Schreiben vom 15.03.2010 teilte der Beklagte unter Hinweis auf § 25 Abs. 4 SGB X mit, dass eine Übersendung der Akten nicht in Betracht komme. Im Rahmen eines Telefonats am 16.04.2010 zwischen dem Klägerbevollmächtigten und einem Mitarbeiter des Beklagten wurde vereinbart, dass alle entscheidungsrelevanten Unterlagen kopiert und dem Klägerbevollmächtigten übersandt würden. Der Mitarbeiter des Beklagten hielt fest: “Über die entstehenden Kosten wurde Herr L… informiert.„

Mit Bescheid vom 16.04.2010 verfügte der Beklagte, dass für die Einsichtgewährung in Akten, das Fertigen von Kopien zur SGB IX-Akte und für deren Versand Gebühren i.H.v. 10,50 € festgesetzt würden. Zur Begründung wurde ausgeführt: Es seien insgesamt 27 Seiten aus der Verwaltungsakte kopiert und übersandt worden. Rechtsgrundlage für die Festsetzung sei die Satzung über die Erhebung von Verwaltungskosten des Landkreises Mittelsachsen für Amtshandlungen in weisungsfreien Angelegenheiten vom 11.06.2009 (Kostensatzung). Hiernach fielen für die Einsichtgewährung in Akten Kosten i.H.v. 5,00 € an. Hinzu kämen Kosten für Kopien (schwarz-weiß bis Größe A4 einseitig 0,15 € bzw. doppelseitig 0,30 €) sowie das Porto für den Versand in tatsächlicher Höhe (1,45 €).

Gegen den Bescheid vom 16.04.2010 wandte sich der Kläger mit Widerspruch seines Bevollmächtigten vom 28.04.2010. Zur Begründung wurde ausgeführt: Der Widerspruch richte sich gegen die Erhebung der Gebühr für die Akteneinsichtsgewährung i.H.v. 5,00 € sowie gegen die Portokosten i.H.v. 1,45 €. Der Erhebung der genannten Kosten stehe § 64 Abs. 1 SGB X entgegen. Hiernach bestehe für das Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren auf dem Gebiet des Schwerbehindertenrechts Kostenfreiheit. Lediglich für die Anfertigung von Ablichtungen aus den Akten könne gemäß § 25 Abs. 5 Satz 2 SGB X ein Aufwendungsersatz in angemessenem Umfang verlangt werden. Die auf die Anfertigung der Kopien entfallenden Kosten würden daher nicht beanstandet. Die darüber hinaus gehende Kostenforderung sei jedoch rechtswidrig. Die Anwendung der Kostensatzung sei für das Sozialverwaltungsverfahren nach dem SGB X ausgeschlossen, da für diesen Bereich der Verwaltungstätigkeit keine gesetzliche Ermächtigung zum Erlass einer derartigen Satzung bestehe und die Satzung im Übrigen gegen höherrangiges Recht - insbesondere § 64 Abs. 1 SGB X - verstoße.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2010 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Kostenfreiheit einschließlich der Erhebung von Auslagen des § 64 SGB X beziehe sich auf die Verfahren nach den Sozialgesetzbüchern. Es seien alle diejenigen Verfahren gemeint, in denen nach Abschluss der behördlichen Ermittlungen ein Verwaltungsakt erlassen werde. Für das Verfahren und für die von der Behörde angestellten Ermittlungen würden keine Gebühren erhoben. Gleichfalls würden keine Auslagen auf die Verfahrensbeteiligten umgelegt, wenn sich die Behörde Auskünften und Zuarbeiten Dritter bediene, für die ebenso Auslagen entstehen könnten, wie auch für die eigenen Auslagen - beispielsweise durch Telefonate oder Postentgelte. Vorliegend habe jedoch der Klägerbevollmächtigte um Auskunft aus den Akten gebeten, damit er seine Belange verfolgen könne, er also Auskünfte für seine Entscheidungsfindung im Verfahren treffen könne. Hier werde er dann zwar selbst kein Verwaltungsverfahren mit dem Ziel einer hoheitlichen En...

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