Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankengeld. nichtmedizinische Fehlentscheidung (hier: fehlerhafter Ausdruck) des Vertragsarztes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die irrtümliche Nichtfeststellung der Arbeitsunfähigkeit (AU) durch den Vertragsarzt ist von der Beklagten zu vertreten. Der fehlerhafte Ausdruck einer nicht zeitgerechten und nicht mehr aktuellen AU-Bescheinigung steht in ihrer Wirkung einer (irrtümlichen) Nichtfeststellung der AU gleich.

2. Gerade, wenn der Kausalverlauf durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung initiiert worden ist, muss eine nachträgliche Richtigstellung möglich sein, um eine unangemessene Benachteiligung des Versicherten, die weder durch den Wortlaut noch durch den Zweck der Ruhensvorschrift des § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V gerechtfertigt wird, auszuschließen.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 13. Juli 2017 und der Bescheid vom 12. Mai 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2016 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Krankengeld vom 20. April 2016 bis 11. Mai 2016 in Höhe von 42,90 € brutto und 37,75 € netto kalendertäglich zu gewähren.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Krankengeld (Krg) in Höhe von insgesamt 945,78 € (brutto) und 830,50 € (netto) für den Zeitraum vom 20.04.2016 bis 11.05.2016 (22 Tage).

Der 1963 geborene, als Instandhalter beschäftigte und bei der Beklagten versicherte Kläger erkrankte ab 15.01.2016 arbeitsunfähig und bezog von der Beklagten ab 26.02.2016 Krg täglich in Höhe von 42,90 € brutto und 37,75 € netto. Bereits mit Schreiben vom 29.02.2016 hat die Beklagte dem Kläger unter Beifügung eines Merkblattes unter anderem mitgeteilt, dass der Nachweis über die Arbeitsunfähigkeit (AU) zur Vermeidung finanzieller Nachteile innerhalb von sieben Tagen bei ihr vorliegen müsse. Am 05.04.2016 attestierte die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dipl.-Med. Y... dem Kläger das Fortbestehen der AU bis 19.04.2016 mit der Diagnose F45.0 (Somatisierungsstörung). Am 19.04.2016 stellte die Ärztin dem Kläger unter dem Datum "05.04.2016" nochmals eine AU-Folgebescheinigung für die Zeit vom 05.04.2016 bis 19.04.2016 aus.

Am 12.05.2016 stellte Frau Dipl.-Med. Y... zwei AU-Folgebescheinigungen aus: Eine unter dem Datum "19.04.2016" für die Zeit vom 19.04.2016 bis 12.05.2016 und eine weitere vom 12.05.2016 bis 03.06.2016. Beide gingen der Beklagten am 12.05.2016 zu.

Mit Bescheid vom 12.05.2016 lehnte die Beklagte die Gewährung von Krg für die Zeit vom 20.04.2016 bis 11.05.2016 ab, da der Anspruch des Klägers in dieser Zeit ruhe. Die AU-Bescheinigung vom 19.04.2016 sei nicht innerhalb einer Woche, sondern erst verspätet am 12.05.2016 bei ihr eingegangen; für eine rechtzeitige Meldung habe die Bescheinigung bis spätestens 27.04.2016 vorliegen müssen.

Dagegen legte der Kläger bei der Beklagten mit Schreiben vom 17.05.2016 Widerspruch ein. Sein Arbeitgeber habe ihn am 10.05.2016 telefonisch darauf aufmerksam gemacht, dass er unentschuldigt fehle und dies einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstelle. Erst daraufhin habe er den Durchschlag seines Krankenscheines kontrolliert und festgestellt, dass der Meldezeitraum der gleiche wie im vorherigen Krankenschein gewesen sei. Leider habe er es aufgrund seines Gesundheitszustandes versäumt, den Krankenschein zu kontrollieren. Beigelegt hat der Kläger ein Schreiben von Frau Dipl.-Med. Y... vom 20.05.2016. Der Kläger habe bei seiner Vorstellung bei ihr am 05.04.2016 eine AU-Bescheinigung vom 05.04.2016 bis 19.04.2016 erhalten, die er fristgemäß bei der Beklagten eingereicht habe. Bei seiner erneuten Vorstellung am 19.04.2016 sei versehentlich erneut die AU-Bescheinigung vom 05.04.2016 ausgedruckt worden, anstatt eine Folge-AU-Bescheinigung vom 19.04.2016 bis 12.05.2016. Dieser organisatorische Fehler sei weder ihr noch dem Kläger noch der Beklagten aufgefallen. Als der Kläger am 12.05.2016 wieder bei ihr vorstellig geworden sei, habe er nachträglich die AU-Bescheinigung vom 19.04.2016 bis 12.05.2016 erhalten, welche er folglich auch nur verspätet habe einreichen können, sowie eine Folge-AU-Bescheinigung vom 12.05.2016 bis 03.06.2016.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Da sie erst am 12.05.2016 die auf den 19.04.2016 datierte AU-Bescheinigung mit der weiteren Feststellung der AU über den 19.04.2016 hinaus erhalten habe, sei die Meldefrist von einer Woche überschritten, weshalb der Krg-Anspruch in der Zeit vom 20.04.2016 bis 11.05.2016 ruhe. Die Meldung der AU sei Pflicht des Versicherten. Die Gefahr des Nichteinganges oder des nicht rechtzeitigen Einganges der Meldung trage der Versicherte. Das habe zur Folge, dass die Ruhensvorschrift auch dann greife, wenn die rechtzeitig zur Post gegebene Meldung dort verloren gehe und der Kl...

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