Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. GdB-Festsetzung. Grundsätze der Heilungsbewährung. fehlgeschlagene Heilungsbewährung. Rezidive. Dickdarmkrebs mit Teilentfernung des Darms
Orientierungssatz
Zur GdB-Festsetzung unter Berücksichtigung der Grundsätze der Heilungsbewährung nach Auftreten des ersten Rezidivs (hier: Dickdarmkrebs mit Teilentfernung des Darms).
Tenor
I. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 12.08.2004 sowie der Bescheid des Beklagten vom 23.07.02 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.02.03 werden aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verpflichtet, die Bescheide vom 13.03.1997 und vom 19.06.2000 dahingehend abzuändern, dass der GdB für die Zeit vom 28.03.1997 bis zum 30.04.2001 50 beträgt.
III. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits für beide Instanzen zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist noch, ob der GdB im Zeitraum vom 28.03.1997 - 30.04.2001 auf 50 heraufzusetzen ist, wie der Kläger meint, oder ob die Feststellungen des Beklagten, wonach der GdB vom 28.03.1997 bis zum 07.10.1997 (Bescheid vom 13.03.1997) 20 und vom 08.10.1997 bis zum 30.04.2001 (Bescheid vom 19.06.2000) 30 beträgt, zutreffend sind. Über die Zeit davor (GdB 80, Bescheid vom 24.09.2000) und danach (GdB 50, Bescheid vom 22.02.2002) besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.
Bei dem Kläger traten im Februar 1984 Darmblutungen auf, histologisch wurde nach erfolgter Dickdarmteilresektion ein Adenokarzinom des Caecums gesichert. Ihm wurde daher vom Rat der Stadt Löbau mit Wirkung ab Februar 1984 ein Schwerbeschädigtenausweis der Stufe II + SB zuerkannt.
Der am 13.04.1993 zum Beklagten gestellte Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz führte zur bescheidmäßigen Feststellung (Bescheid vom 11.10.1993) einer
"Dickdarmerkrankung in Heilungsbewährung"
als Behinderung im Sinne des Schwerbehindertengesetzes und zur Zuerkennung eines GdB von 50.
Inzwischen war dem Kläger schon zum 2. mal ein Teil seines Dickdarms entfernt worden, diesmal wegen eines Sigma-Adenoms.
Der Schwerbehindertenausweis wurde zunächst nur mit einer Gültigkeitsdauer bis Februar 1997 ausgestellt.
Vor Ablauf dieser Frist holte der Beklagte bei dem Internisten Dr. K1. einen Befundbericht ein, in welchem einerseits Coloskopie und Tumormarker als unauffällig bezeichnet, andererseits aber auch Hinweise auf eine erhebliche Kachexie mit Schwindelgefühlen, Belastungsatemnot und Unruhezuständen gegeben wurden.
Mit Schreiben vom 19.01.1997 hörte der Beklagte den Kläger daraufhin zur beabsichtigten Herabsetzung des GdB von 50 auf 20 an. "Nach dem Ergebnis der ärztlichen Überprüfung" sei eine Heilungsbewährung eingetreten. Der Name des Arztes und der Inhalt des Befundberichtes wurden allerdings nicht mitgeteilt.
Nachdem der Kläger von der ihm angebotenen Möglichkeit zur Stellungnahme binnen Monatsfrist keinen Gebrauch gemacht hatte, änderte der Beklagte mit Bescheid vom 13.03.1997 die Bezeichnung der Behinderung in "Dickdarmteilresektion" ab und setzte den GdB auf 20 herab. Ein Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung wurde nicht ergriffen.
Mit Schreiben vom 06.10.1999, eingegangen beim Beklagten am 08.10.1999, beantragte der Kläger eine Überprüfung der Entscheidung vom 13.03.1997. Der Beklagte behandelte diesen Antrag als Verschlimmerungsantrag und setzte mit Bescheid vom 19.06.2000 den GdB für die Zeit ab Antragstellung, also ab dem 08.10.1999 auf 30 herauf.
Der hiergegen eingelegte Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 07.06.2001), das anschließende Klageverfahren beim SG Dresden (Az: S 13 SB 86/01) endete in der mündlichen Verhandlung am 15.05.2002 damit, dass der Beklagte wegen eines zwischenzeitlichen weiteren Rezidivs mit Operation einen GdB von 50 mit Wirkung ab 01.05.2001 anerkannte und sich im Übrigen bereit erklärte, den Antrag des Klägers vom 08.10.1999 auch als Antrag nach § 44 SGB X zu verbescheiden.
Der Beklagte lehnte dann aber mit dem - streitgegenständlichen - Bescheid vom 23.07.2002 diesen Antrag, "den Bescheid vom 13.03.1997 zurückzunehmen" mit der Begründung ab, der eingeholte Befundbericht von Dr. K1. habe keine Befunde ergeben, die für ein Rezidiv gesprochen hätten, daher sei der GdB von 20 ab 28.03.1997 und ein GdB von 30 wegen des reduzierten Körpergewichts ab 10/99 angemessen.
Auf die Klage zum SG Dresden hat dieses ein medizinisches Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. S1., D., eingeholt, in welchem die Auffassung vertreten wird, aufgrund des Stadiums T3-4 N0 Mx sei der GdB entsprechend den Anhaltspunkten schon nach der zweiten Operation im Jahre 1991 bis zum Ablauf der Heilungsbewährung auf 80 festzusetzen gewesen, desgleichen nach der dritten Operation im Jahre 2001. In der Zwischenzeit also in dem fraglichen Zeitraum 28.03.1997 - 30.04.2001 habe der GdB 50 betragen. Der Kläger leide nämlich an einem erblichen, genetisch bedingten Dickdarmkrebs (HNPCC = hereditary non polyposis colorectal cancer), was eine molekulargenetische Analyse gezeigt...