Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Sanktion. Meldeversäumnis. Bestreiten des Zugangs der Meldeaufforderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es gibt keinen Erfahrungssatz, nach dem Schriftstücke, die den Adressaten nicht erreichen,

notwendigerweise wieder an ihren Ausgangspunkt zurückkehren.

2. Der Nachweis des Zugangs eines behördlichen Schreibens kann nicht im Wege statistischer Überlegungen ersetzt werden. Vielmehr ist im Bestreitensfalle der Nachweis des Zuganges der Schriftstücke durch die Behörde zu führen. Bestreitet ein Hilfebedürftiger wiederholt den Erhalt von Schriftstücken, ist es an dem Leistungsträger, dem in geeigneter Weise, nämlich durch die Wahl einer Versendungsform mit Nachweis, entgegenzutreten.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 3. August 2017 sowie der Bescheid des Beklagten vom 20. August 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2014 und der Bescheid vom 15. Mai 2014 aufgehoben.

II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wehrt sich gegen eine von dem Beklagten verhängte Leistungsminderung.

Der Kläger stand bei dem Beklagten im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Mit Schreiben vom 7. April 2014 („Einladung“) bat der Beklagte den Kläger, am 15. April 2014 um 10.15 Uhr das Jobcenter zur Besprechung seiner aktuellen beruflichen Situation zu besuchen. Wenn der Einladung ohne wichtigen Grund nicht Folge geleistet werde, werde die Leistung um 10 % des nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs für die Dauer von drei Monaten gemindert. Das Schreiben enthält den Hinweis: „Beachten Sie bitte unbedingt auch die nachfolgende Rechtsfolgenbelehrung und die weiteren Hinweise“. Der in der Verwaltungsakte befindliche Entwurf des Schreibens enthält keine Rechtsfolgenbelehrung. Seine Rückseite ist unbedruckt. Auch eine gesonderte Rechtsfolgenbelehrung zum Schreiben vom 7. April 2014 ist in der Verwaltungsakte nicht enthalten.

Der Kläger erschien zum festgelegten Zeitpunkt nicht beim Beklagten. Mit Bescheid vom 15. Mai 2014 stellte dieser daraufhin eine Minderung des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld II in Höhe von 39,10 EUR monatlich fest.

Am 11. August 2014 stellte der Kläger, anwaltlich vertreten, einen Überprüfungsantrag hinsichtlich des Bescheides vom 15. Mai 2014. Der Prozessbevollmächtigte führte zur Begründung des Überprüfungsantrages aus, dass die Rechtsfolgenbelehrung fehlerhaft sei und verwies auf Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die er auszugsweise zitierte.

Mit Bescheid vom 20. August 2014 lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag ab. Der Bescheid vom 15. Mai 2014 sei nicht zu beanstanden. Den Widerspruch des Klägers vom 25. August 2014 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. November 2014 zurück. Die dem Bescheid vom 15. Mai 2014 vorangegangene Meldeaufforderung sei mit einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung versehen gewesen.

Die Klage vom 25. August 2014 hat das Sozialgericht mit Urteil vom 3. August 2017 abgewiesen. Der Sanktionsbescheid vom 15. Mai 2014 in der Fassung des Überprüfungsbescheides vom 20. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2014 sei rechtmäßig und beschwere den Kläger daher nicht. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Minderungsentscheidung hätten vorgelegen. Der Kläger sei in Kenntnis der Rechtsfolgen der Aufforderung des Beklagten vom 7. April 2014, sich am 15. April 2014 zu melden, nicht nachgekommen. Die Rechtsfolgen eines Meldeversäumnisses habe der Kläger aus vorangegangenen Vorgängen gekannt. Die Einladung vom 7. April 2014 habe ihn auch erreicht. Zwar habe er geltend gemacht, sich an den Erhalt der Einladung nicht mehr erinnern zu können. Im Rahmen des Freibeweises sei aber zu würdigen, dass weder das Einladungsschreiben an die Behörde zurückgelaufen sei noch der Kläger im Überprüfungsantrag oder dem Widerspruch den Nichterhalt der Einladung vorgetragen habe. Vielmehr sei auf eine Rechtsfolgenbelehrung Bezug genommen worden. Einen wichtigen Grund für das Fernbleiben habe der Kläger nicht einmal behauptet, geschweige denn nachgewiesen. Das Sozialgericht hat die Berufung gegen sein Urteil zugelassen. Klärungsbedürftig sei, ob eine unverständliche, unrichtige oder unvollständige Rechtsfolgenbelehrung nur dann zur Rechtswidrigkeit einer Leistungsminderung führe, wenn die Möglichkeit bestehe, dass der Mangel der Belehrung für das minderungsbegründende Verhalten des Leistungsberechtigten kausal gewesen sein könnte.

Der Kläger hat gegen das ihm am 21. Dezember 2017 zugestellte Urteil am 22. Januar 2018, einem Montag, Berufung eingelegt, mit der er sich weiter gegen die verhängte Leistungsminderung sowie den Überprüfungsbescheid in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides wendet. Er könne sich an einen Z...

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