Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Erstattung vorläufig erbrachter Leistungen nach abschließender endgültiger Entscheidung. Feststellung der Verjährung. Übertragung der BSG-Rechtsprechung. Vorrang der 4-jährigen Verjährungsfrist. keine Hemmung der Verjährung gemäß § 52 SGB 10. endgültiger bzw abschließender Bescheid. kein Verwaltungsakt zur Durchsetzung des Erstattungsanspruchs. Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 4.3.2021 (B 11 AL 5/20 R = BSGE 131, 286 = SozR 4-1300 § 50 Nr 7) kann auf den Fall einer Erstattungsforderung, die auf einer endgültigen Bewilligungsentscheidung nach einer vorangegangenen vorläufigen Leistungsbewilligung beruht, übertragen werden.

2. Ein endgültiger Bescheid im Sinne von § 40 Abs 1 S 2 Nr 1a SGB 2 aF in Verbindung mit § 328 Abs 2 SGB 3 aF oder seit dem 1.8.2016 ein abschließender Bescheid im Sinne von § 41a Abs 3 SGB 2 ist kein "Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird" im Sinne von § 52 Abs 1 S 1 SGB 10.

3. Eine Erstattungsforderung nach § 335 Abs 1 S 1 SGB 3 ist durch Verwaltungsakt geltend zu machen. Sie entsteht nicht kraft Gesetzes.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird Satz 1 in Nummer 1 des Tenors des Gerichtsbescheides des Sozialgerichtes Chemnitz vom 9. Dezember 2019 aufgehoben; die Klage gegen den Bescheid der Agentur für Arbeit Y... vom 13. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Agentur für Arbeit Z... vom 5. August 2019 wird abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat 70 % der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Beklagte wendet sich gegen einen Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes, mit dem dieses zum einen den Bescheid über die Ablehnung eines Erlassantrages aufgehoben und zum anderen die Verjährung der beizutreibenden Erstattungsforderungen festgestellt hat.

Die 1970 geborene Klägerin bezog zusammen mit ihrem 1968 geborenen Lebensgefährten sowie den 1994 und 1997 geborenen Kindern von der ARGE Agentur für Arbeit - Vogtlandkreis (im Folgenden: ARGE) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) auf der Grundlage von vorläufigen Leistungsbewilligungen.

Die ARGE erließ am 10. September 2010 und 13. September 2010 drei an die Klägerin adressierte endgültige Leistungsbescheide für sie und ihre beiden minderjährigen Kinder, verbunden mit Erstattungsforderungen. Der eine Bescheid vom 10. September 2010 betraf die Monate März 2008 bis Juni 2008 mit einer auf die Klägerin entfallenden Erstattungsforderung in Höhe von 1.248,14 EUR. Der zweite Bescheid vom 10. September 2010 hatte die Monate September 2008 bis Februar 2009 zum Gegenstand und beinhaltete eine auf die Klägerin entfallenden Erstattungsforderung in Höhe von 2.610,24 EUR. Der Bescheid vom 13. September 2013 betraf die Monate März 2009 bis Juli 2009 mit einer auf die Klägerin entfallenden Erstattungsforderung in Höhe von 2.119,80 EUR. Diese Erstattungsforderungen summierten sich auf einen Gesamtbetrag in Höhe von 5.978,18 EUR.

Die von der ARGE mit dem Forderungseinzug beauftragte Bundesagentur für Arbeit (Regionaldirektion Bayern) richtete unter dem 16. September 2010 eine Zahlungsaufforderung an die Klägerin über einen Betrag in Höhe von 5.978,18 EUR. Am 2. Mai 2012 erließ sie einen Mahnbescheid über den Forderungsbetrag und setzte Mahngebühren in Höhe von 30,15 EUR fest.

Auf Grund von Teilzahlungen durch die Klägerin verringerte sich die Gesamtforderung in der Mahnung der Agentur für Arbeit Deggendorf (Regionaler Inkasso-Service) vom 31. Oktober 2013 auf 2.267,22 EUR (zuzüglich Mahngebühren in Höhe von 11,60 EUR) und in der Zahlungserinnerung der Agentur für Arbeit Y... (Inkasso-Service) vom 5. September 2016 auf 2.131,40 EUR. Dieser Betrag wurde zum 19. September 2016 fällig gestellt.

Die nunmehr anwaltlich vertretene Klägerin legte - bezogen auf den Zeitraum von März bis Juli 2009 - mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2016 Widerspruch gegen die Festsetzung der Mahngebühr ein und beantragte hilfsweise die ratenfreie Stundung.

Die Agentur für Arbeit Z... verwarf diesen Widerspruch, den sie als gegen die Zahlungserinnerung gerichtet ansah, mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2017 als unzulässig.

Der Klägerbevollmächtigte erinnerte im Schriftsatz vom 20. Februar 2018 an den Stundungsantrag und erhob zugleich die Einrede der Verjährung. Hilfsweise berief sie sich auf Verwirkung und beantragte höchst hilfsweise den Erlass der Forderung. Schließlich berief sie sich auf die Haftungsbeschränkung Minderjähriger.

Die Agentur für Arbeit Y... gab mit Schreiben vom 6. März 2018 Gelegenheit, zur Unbilligkeit des Forderungseinzuges als Voraussetzung für einen Erla...

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