Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung. kein Abschluss einer Vereinbarung über eine individuelle Richtgröße nach Festsetzung eines Regresses. kein Kontrahierungszwang für die Prüfgremien. Darlegungs- und Beweislast des Vertragsarztes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Vereinbarung über eine individuelle Richtgröße gemäß § 106 Abs 5d SGB 5 kann in einem Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren nur vor der Festsetzung eines Regresses geschlossen werden. Daher kann eine individuelle Richtgrößenvereinbarung mit dem Beschwerdeausschuss nur dann geschlossen werden, wenn der Prüfungsausschuss keinen Regress festgesetzt hat. Hat der Prüfungsausschuss dagegen bereits einen Regress festgesetzt, kommt der Abschluss einer individuellen Richtgrößenvereinbarung nur dann in Betracht, wenn der regressfestsetzende Bescheid des Prüfungsausschusses aufgehoben worden ist.

2. § 106 Abs 5d SGB 5 vermittelt dem Vertragsarzt keinen Anspruch auf Abschluss einer individuellen Richtgrößenvereinbarung, sondern lediglich ein Recht auf Verhandlung über eine solche Vereinbarung. Dieses Recht muss der Vertragsarzt vor der Festsetzung eines Regresses geltend machen. Die Prüfgremien müssen nicht von sich aus dem Vertragsarzt den Abschluss einer individuellen Richtgrößenvereinbarung anbieten.

 

Orientierungssatz

Die Darlegungs- und Beweislast für den Mehraufwand, der durch Praxisbesonderheiten begründet ist, trägt der Vertragsarzt. Dies ist von der Rechtsprechung bei der statistischen Vergleichsprüfung seit jeher angenommen worden (vgl BSG vom 6.9.2000 - B 6 KA 24/99 R = SozR 3-2500 § 106 Nr 50 und vom 5.11.1997 - 6 RKa 1/97 = SozR 3-2500 § 106 Nr 42). Bei der Richtgrößenprüfung kann nichts anderes gelten.

 

Normenkette

SGB V § 106 Abs. 5d, 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 5a Sätze 3-4

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 28.08.2013; Aktenzeichen B 6 KA 46/12 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 2. Februar 2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Die Revision wird zugelassen.

IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 36.930,90 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Verordnungskostenregresses auf der Grundlage von Richtgrößen für das Jahr 2005.

Der Kläger nimmt als Facharzt für Allgemeinmedizin in L… an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Im Jahr 2005 rechnete er insgesamt 4.417 Fälle, darunter 3.276 Fälle von Mitgliedern/Familienversicherten und 1.141 Fälle von Rentnern, ab. Die Bruttokosten für die Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln einschließlich Sprechstundenbedarf betrugen 515.472,90 € und überstiegen das Richtgrößenvolumen von 255.259,34 € um 101,94 %.

Der Prüfungsausschuss Ärzte D… beschloss die Durchführung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung auf der Grundlage von Richtgrößen und teilte dem Kläger dies sowie den Richtgrößenjahresvergleich mit. Der Kläger gab keine Stellungnahme ab und unterzeichnete auch nicht die angebotene Vereinbarung über eine Verminderung des berechneten Regresses um ein Fünftel (gemäß § 106 Abs. 5a Satz 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]). Daraufhin setzte der Prüfungsausschuss mit Prüfbescheid vom 12.12.2007 einen Regress in Höhe von 36.930,90 € fest. Bei Überprüfung der vorliegenden Verordnungs- und Behandlungsdaten würden Mehraufwendungen in Höhe von insgesamt 152.494,33 € als berechtigt anerkannt (davon 57.953,68 € für Indikationsgebiete nach der Anlage 7.1 zur Prüfungsvereinbarung und 94.540,65 € weitere Kosten darunter 8.174,68 € für Schmerztherapie mit Analgetika/Opiaten, 23.242,08 € für Thrombozytenaggregationshemmer, 5.918,08 € für Arzneimittel bei gastroösophagealer Refluxkrankheit, 8.213,08 € Osteoporosemittel/Bisphosphonate, 10.259,01 € für Broncholytika/Antiasthmatika bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung [COPD], 20.358,22 € für Verordnungen mit Nettowert Null). Nach Anerkennung dieser Besonderheiten verbleibe eine Restüberschreitung von 42,20 %. Unter Zugrundelegung der Nettoquote (Verhältnis Netto-/Bruttokosten) der Fachgruppe von 0,8478 und Abzug von Rabatten ergebe sich der festgesetzte Regress.

Der Kläger legte Widerspruch ein sowie Patientenlisten mit Diagnosen und Arzneimitteln bzw. Gesamtverordnungskosten vor. Der Prüfungsausschuss habe einen Schwerpunkt bei der Behandlung von Asthma und COPD gesehen und diesbezüglich die Kosten für das Arzneimittel Symbicort anerkannt. Gleiches müsse für das Medikament Viani gelten, das zur Langzeittherapie bei Asthma eingesetzt werde. Bei diesen Patienten bestehe auch ein Mehrbedarf an Antibiotika. 143 Patienten mit COPD hätten Gesamtverordnungskosten einschließlich Begleitmedikation von 40.717,00 € verursacht. Darüber hinaus sei aus der Abrechnung der Nr. 603 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) ersichtlich, dass seine Praxis einen überdurchschnittlichen Anteil von Patienten mit Herzkrankheiten aufweise. Zudem handele es sich u...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge