Rz. 21
Die Schaffung eines Neutralitätsausschusses wird der Bedeutung seiner Entscheidung für den Arbeitskampf dadurch gerecht, dass Sachverstand und Erfahrungen der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite aus der Selbstverwaltung der Bundesagentur für Arbeit in die Entscheidung des Neutralitätsausschusses eingehen und zugleich gewährleistet wird, dass der maßgebliche Sachverhalt vollständig ermittelt wird. Der Neutralitätsausschuss kann durch äußeren Anstoß, aber auch initiativ tätig werden. Seine Wirkung zeigt sich auch in einer möglichen Beschleunigung des Verfahrens und verbindlichen Feststellungen.
Rz. 22
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und b bestimmt die Voraussetzungen für das Ruhen von Ansprüchen auf Alg und Kurzarbeitergeld einer mittelbar vom Arbeitskampf betroffenen Arbeitnehmergruppe. Die Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen vorliegen, trifft der Neutralitätsausschuss gemäß § 380.
Rz. 23
Dem Neutralitätsausschuss obliegen nicht die Feststellungen, die von den Agenturen für Arbeit zu einem geltend gemachten einzelnen Leistungsanspruch zu treffen sind. Das sind:
- Beteiligung/Nichtbeteiligung an dem Arbeitskampf bzw. verursachte/r Arbeitslosigkeit/Arbeitsausfall im Betrieb durch Fernwirkungen des Arbeitskampfes in dem umkämpften anderen Tarifgebiet,
- Zuordnung des letzten Beschäftigungsbetriebes zum fachlichen (nicht räumlichen) Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrags, für den der Neutralitätsausschuss seine Feststellungen getroffen hat,
- Geltung oder Anwendung der geforderten Arbeitsbedingungen nach Abschluss eines entsprechenden Tarifvertrags für bzw. auf den Arbeitnehmer.
Rz. 23a
Der Neutralitätsausschuss trifft Feststellungen zum Inlandsbezug des Arbeitskampfes, seinem räumlichen und fachlichen Geltungsbereich, dem Beginn und Ende des Arbeitskampfes, einer aufgestellten Hauptforderung, Forderungen außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der Hauptforderung, aber innerhalb des fachlichen Geltungsbereichs und die Übereinstimmung beider Forderungen nach Art und Umfang sowie zur Übernahme des Arbeitskampfergebnisses als Prognose. Im Neutralitätsausschuss sind Vertreter der öffentlich-rechtlichen Körperschaften nicht vertreten.
Rz. 24
Der Neutralitätsausschuss trifft seine Entscheidung durch Beschluss. Es handelt sich um eine Verwaltungsentscheidung sui generis mit Feststellungscharakter. Der Neutralitätsausschuss bewertet Tatsachen, er hat keinen Beurteilungsspielraum und übt auch kein Ermessen aus. Sowohl für einen Verwaltungsakt als auch für eine Allgemeinverfügung fehlt es an einer unmittelbaren Rechtswirkung nach außen, weil zusätzliche eigenständige Prüfungen darüber erforderlich sind, ob der einzelne Arbeitnehmer Anspruch auf Alg hat oder nicht. Gegenüber den Arbeitskampfparteien werden keine Koalitionsrechte gestaltet. Die Entscheidung des Neutralitätsausschusses entfaltet Bindungswirkung, dies auch für Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu Einzelansprüchen von Arbeitnehmern. Die Entscheidung ist den Beteiligten als Beschlussabschrift oder Beschlussausfertigung, vom Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit als Vorsitzender des Neutralitätsausschusses unterschrieben, zuzustellen. Das BSG hat i. S. d. Rechtssicherheit keine Bedenken, die Vorschriften des SGB X entsprechend anzuwenden. Aus der Entscheidungskompetenz des Neutralitätsausschusses leitet das BSG ab, dass § 160 insgesamt eine auffangende Sozialrechtsnorm darstellt (BSG, Urteil v. 5.6.1991, 7 RAr 26/89, SozR 3-4100 § 116 Nr. 1). Die Entscheidungen des Neutralitätsausschusses hätten keine unmittelbare Wirkung auf die Arbeitskampfparteien. Dies wird richtigerweise in der Literatur bezweifelt, weil das Ziel der gesetzlichen Regelungen Arbeitskampfparität ist. Es erscheint sinnvoll, wenn die Bundesagentur für Arbeit Aktivitäten des Neutralitätsausschusses organisatorischer Art (Tagungstermine usw.) ohne inhaltliche Ausführungen mitteilt, damit sich das BSG in organisatorischer Hinsicht auf ein Verfahren nach Abs. 6 einstellen kann.
Rz. 25
Fachspitzenverbände sind auf einen bestimmten Fachbereich bezogen als Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisation bedeutsam für das gesamte Bundesgebiet.
Rz. 26
Der Neutralitätsausschuss entscheidet nur über einzelne Elemente des Ruhens. Offen bleibt, in welchen Leistungsfällen ein solches Ruhen im Ergebnis eintritt oder nicht.
Rz. 26a
Zum Neutralitätsausschuss vgl. grundlegend insbesondere BSG, Urteile v. 4.10.1994, 7 KlAr 1/93, und v. 24.7.1996, 7 KlAr 1/95, SozR 3-4100 § 116 Nr. 2 und Nr. 4. Dort ist auch aufgelistet, welche Befugnisse der Neutralitätsausschuss hat. Gegenstand eines Beschlusses des Neutralitätsausschusses, der im Rahmen eines mehrstufigen Verwaltungsverfahrens ergeht, ist lediglich, einzelne Elemente individueller Leistungsansprüche verbindlich vorab zu regeln, und zwar vorsorglich auch für den Fall, dass es zur Geltendmachung von Leistungsansprüchen überhaupt nicht kommt. Darin erschöpfen sich seine unmittelbaren rechtlichen Wirkungen. Diese entfallen, wenn er seine regelnde Wir...