Rz. 3
Eine Behinderung i. S. d. § 19 betrifft eine körperliche, geistige oder seelische Beeinträchtigung. § 2 Abs. 1 SGB IX definiert Behinderung als eine mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate andauernde Abweichung von dem für das Lebensalter typischen Zustand der körperlichen Funktion, geistigen Fähigkeit und seelischen Gesundheit, die eine Teilhabe des Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigen. Unerheblich ist die Ursache der gesundheitlichen Störung. Andere Erschwernisse in Bezug auf die Eingliederung in Beschäftigung bleiben (in diesem Zusammenhang noch) unberücksichtigt. Die Behinderteneigenschaft ist im Einzelfall festzustellen. Es genügt ein regelwidriger Zustand. Dazu gehört nicht, dass bestimmte Erkrankungen mit zunehmendem Lebensalter erstmals oder häufiger auftreten. Auf den Grad der Behinderung oder eine Schwerbehinderung kommt es nicht an. Ebenso spielt für das Vorliegen einer Behinderung keine Rolle, ob Arbeitsunfähigkeit vorliegt oder eine Notwendigkeit zur Behandlung besteht. Entscheidend ist, dass die Behinderung Ursache für die nicht nur vorübergehende wesentliche Minderung der Aussichten auf Teilhabe oder weiteren Teilhabe am Arbeitsleben ist. Insoweit ist der Begriff der Behinderung umfassend zu verstehen. Das können auch vergleichsweise geringfügige Abweichungen vom Regelzustand verursachen. Altersbedingte Einschränkungen begründen keine Behinderung i. S. d. § 2 Abs. 1 SGB IX. Dabei handelt es sich nicht um einen regelwidrigen, sondern gerade typischen Zustand, etwa die altersbedingte Verminderung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Ein alterstypischer, aber nicht altersbedingter Zustand wird davon nicht erfasst, er kann wiederum regelwidrig sein. Personen, die der Resozialisierung bedürfen, nicht sesshaft, alkohol- oder drogenabhängig sind, gehören nicht von vornherein zu den Menschen mit Behinderungen oder von Behinderungen bedrohten Menschen. Die Begriffsbestimmung gilt für das gesamte Arbeitsförderungsrecht und ist deshalb in Kapitel 1 angesiedelt. Die gegenüber § 2 Abs. 1 SGB IX enger gefasste Regelung stellt auf arbeitsförderungsrechtliche Belange ab und grenzt deshalb richtigerweise von allgemeiner sozialer Teilhabe ab.
Rz. 4
Es genügt, wenn die gesundheitlichen Störungen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate andauern werden. Dadurch werden akute gesundheitliche Störungen von vergleichsweise geringer Dauer ausgenommen. Im Regelfall kann nach Genesung die bisherige berufliche Tätigkeit wieder aufgenommen oder fortgesetzt werden.
Rz. 5
Hohe Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn nach einer Prognose zum Zeitpunkt der Entscheidung annähernd Sicherheit darüber besteht, dass die Beeinträchtigung nicht vorher beseitigt sein wird. Dabei kann i. d. R. auf Erfahrungswerte abgestellt werden, die dem Gutachter bekannt sind.
Rz. 5a
Zu Abweichungen der körperlichen Funktion i. S. des Rechts der behinderten Menschen gehören auch Sinnesstörungen und Empfindungen wie z. B. Schmerz, Lernbehinderungen fallen durch die Klarstellung in Abs. 1 ebenfalls unter den Behindertenbegriff. Zur seelischen Gesundheit gehören auch Emotionen und Psychomotorik.
Rz. 5b
Liegt eine Behinderung i. S. v. § 2 Abs. 1 SGB IX vor, ist für die Eigenschaft des Menschen mit Behinderungen i. S. v. § 19 weiterhin Voraussetzung, dass deswegen die Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben, wesentlich gemindert sein müssen, und aufgrund dieser geminderten Aussichten ein Erfordernis von Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben besteht (zweifacher kausaler Zusammenhang). Sind Hilfen nicht notwendig oder nicht möglich, ist der betroffene Arbeitnehmer bei der Arbeitsförderung auch bei starker Beeinträchtigung kein behinderter Mensch.
Rz. 5c
Es entspricht der arbeitsförderungsrechtlichen Ausrichtung der Vorschrift, dass es nicht auf einen etwa bereits festgestellten Grad einer Behinderung ankommt, sondern auf die Feststellung der Agentur für Arbeit, dass die spezifischen Voraussetzungen des § 19 vorliegen oder drohen. Hierfür setzen die Agenturen für Arbeit spezialisierte Fachkräfte ein.