2.1 Voraussetzungen für vorläufige Entscheidungen
Rz. 3
Die Vorschrift ermöglicht die Gewährung von Geldleistungen nach dem SGB III, ohne dass die Anspruchsvoraussetzungen dafür vollständig positiv festgestellt worden sind. Verwandte Vorschriften sind § 42 SGB I, nach dem bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen und Unklarheiten zur Höhe Vorschüsse gezahlt werden, § 43 SGB I, der vorläufige Leistungen bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen und Unklarheiten hinsichtlich des zuständigen Leistungsträgers vorsieht, sowie § 32 SGB X, der bei Unklarheiten Verwaltungsakte mit Nebenbestimmungen erlaubt. Im Gegensatz zu diesen Vorschriften liegen in Fällen des § 328 die Anspruchsvoraussetzungen entweder nur bei entsprechender Rechtsprechung über eine anhängige Rechtsfrage oder im Hinblick auf noch zu treffende Feststellungen zwar mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, aber eben nicht mit Sicherheit vor. Gegenüber § 43 SGB I regelt § 328 nicht die Zuständigkeit einer Agentur für Arbeit, hierfür ist ggf. auf die §§ 22, 23 zurückzugreifen. § 42 SGB I kann neben § 328 angewendet werden, soweit die Anspruchsvoraussetzungen festgestellt vorliegen. § 14 SGB IX beseitigt unabhängig von der eigentlichen Rechtslage Unklarheiten über die Zuständigkeit des Rehabilitationsträgers.
Rz. 4
Nach § 328 ist über die Bewilligung vorläufiger Leistungen nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die Behörde muss nicht standardmäßig stets im Einzelfall entscheiden, ob sie vorläufige Geldleistungen erbringt. Lediglich in den Fällen des Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ist sie zu einer solchen vorläufigen positiven oder negativen Entscheidung auf Antrag des Arbeitnehmers verpflichtet (Abs. 1 Satz 3). Der Anwendungsbereich der Vorschrift betrifft nur Geldleistungen, nicht aber Sach- und Dienstleistungen. Die vorläufige Entscheidung selbst ist ein Verwaltungsakt, der unter Ausübung von Ermessen zustande kommt. Aufgrund einer vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen vermeiden Härten für Antragsteller aufgrund von Umständen, die sie nicht zu vertreten haben, weil Rechtsfragen ungeklärt sind oder sich das Verwaltungsverfahren über längere Zeit hinzieht. Die Leistungen haben in Bezug auf Arbeitnehmer den Zweck, für den zu überbrückenden Zeitraum den Lebensunterhalt sicherzustellen.
Rz. 5
Eine vorläufige Entscheidung kann nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 zu allen Geldleistungen an Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Träger nach dem SGB III getroffen werden, nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 nur zu Geldleistungen an Arbeitnehmer und aufgrund des Abs. 4 zur Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen an Arbeitgeber. Eine vorläufige Ablehnung von Leistungen ist nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 ausgeschlossen. Die Anwendung des § 328 wird durch Sonderregelungen im Bereich der Koordination von Sozialrecht auf EU-Ebene verdrängt. Die Erbringung vorläufiger Leistungen ist danach schon vorgesehen, wenn grenzüberschreitende Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, welche Rechtsvorschriften anzuwenden sind oder welcher Träger zuständig ist und wenn noch nicht alle notwendigen Informationen für die Leistungsberechnung aus einem anderen Mitgliedstaat vorliegen (vgl. Art. 6 und 7 VO (EG) Nr. 987/09 zur Durchführung der VO (EG) Nr. 883/2004). Die Verweigerung einer Leistungszahlung von Alg wegen fehlender Verfügbarkeit aufgrund von 3 Meldeversäumnissen ist rechtswidrig (SG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 5.3.2018, S 10 AL 96/16, unter Hinweis auf BSG, Urteil v. 14.5.2014, B 11 AL 8/13 R). Auch mit einem 3. Meldeversäumnis entfällt nicht automatisch die Verfügbarkeit des Arbeitnehmers i. S. des Tatbestandsmerkmals der Arbeitslosigkeit. Denn selbst nach jeweils 3 ordnungsgemäßen Meldeaufforderungen begründet ein dreimal aufeinanderfolgendes unentschuldigtes Fernbleiben von den Meldeterminen i. S. d. § 309 nicht automatisch die Annahme, dass die Verfügbarkeit entfallen ist. Einen solchen Automatismus sieht das SGB III nicht vor. Da § 138 Abs. 5 keine Verknüpfung zwischen der Verfügbarkeit und dem Erscheinen zu einem Meldetermin nach § 309 herstellt, kann das Nichterscheinen zu einem Meldetermin auch nicht zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast des Arbeitslosen hinsichtlich des Fortbestehens von objektiver und subjektiver Verfügbarkeit führen. § 328 Abs. 1 Satz 1 erlaubt demnach nur die vorläufige "Erbringung von Geldleistungen" durch die Agentur für Arbeit, nicht aber deren vorläufige Versagung (vgl. auch Bay. LSG, Beschluss v. 6.8.2012, L 10 AL 95/12 B PKH). Daher kann demnach auch der Eintritt einer Sperrzeit nicht vorläufig festgestellt werden.
Rz. 6
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 setzt voraus, dass eine Norm des SGB III, nicht jedoch lediglich eine Norm des SGB, die gerade entscheidend für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen als Voraussetzung für die Gewährung einer beantragten Geldleistung ist, möglicherweise mit höherrangigem Recht unvereinbar ist und deshalb ein Verfahren vor dem BVerfG oder dem EuGH anhängig ist. Betroffen ist also die Vereinbarkeit mit dem GG oder europäischem Recht. Erfasst werden auch Rechtsvorschriften...