Entscheidungsstichwort (Thema)
Mindestanforderungen an eine Rechtsbehelfsbelehrung
Leitsatz (amtlich)
Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig i.S. des § 356 Abs. 2 Satz 1 AO, wenn sie in einer der gemäß § 356 Abs. 1 AO wesentlichen Aussagen (Mindestanforderungen) unzutreffend oder derart unvollständig oder missverständlich gefasst ist, dass hierdurch – bei objektiver Betrachtung – die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet erscheint.
Normenkette
AO § 355 Abs. 1, § 256 Abs. 1, 2 S. 1; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3
Tatbestand
Die Beteiligten streiten zuletzt noch über die Bestandskraft eines den Antrag der Klägerin auf Kindergeld ablehnenden Bescheides der Beklagten vom 7.10.2014. Die Klägerin wendet eine im Sinne des § 356 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung ein, so dass ihr Einspruch fristgerecht innerhalb der Jahresfrist erhoben worden sei. Die Beklagte stellt die Unrichtigkeit ihrer Rechtsbehelfsbelehrung in Abrede. Der Einspruch sei deshalb gemäß § 355 Abs. 1 AO verfristet.
Die Klägerin ist die Mutter des am xx.xx.xxxx geborenen A. A erlangte im Jahre 2011 den Realschulabschluss. Im Anschluss an eine berufsorientierende Maßnahme führte er vom 31.07.2012 bis zum 31.07.2013 ein freiwilliges soziales Jahr durch. Mit Verfügung vom 7.10.2014 lehnte die Beklagte den Kindergeldantrag der Klägerin für A ab November 2013 ab: Die angeforderten Nachweise über Bemühungen des Kindes um eine Ausbildungsstelle seien nicht eingereicht worden. In der Rechtsbehelfsbelehrung des vorgenannten Bescheides ist u.a. angeführt: “Der Einspruch ist bei der Familienkasse B mit Sitz in D schriftlich einzureichen, dieser elektronisch zu übermitteln oder dort zur Niederschrift zu erklären.“ Eine konkrete Postanschrift der Behörde ist in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht benannt. Der Bescheid enthält in Kopf- und Fußzeile folgende Adressangaben: „Familienkasse B, Straße XX, XXXXX F“. Die Besucheradresse ist ebenfalls mit „Straße XX, F“ angegeben. Eine der Behördenadressen ist im Bescheid nicht angegeben.
Nach dem Inhalt eines Aktenvermerks meldete sich die Klägerin am 15.01.2015 telefonisch bei der Beklagten und fragte nach dem Bearbeitungsstand. Dabei machte sie geltend, am 1.11.2014 Unterlagen eingereicht zu haben. Mit Schreiben vom 16.01.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass keine Unterlagen eingegangen seien und bat erneut um Einreichung von Nachweisen über Ausbildungsbemühungen des Kindes ab November 2013. Nachdem die Klägerin weitere Unterlagen einreichte, bewilligte die Beklagte mit Verfügung vom 22.05.2015 Kindergeld für A im Zeitraum November 2014 bis Januar 2015. Für den Zeitraum November 2013 bis Oktober 2014 lehnte die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld für A ab: Eine Korrektur der ablehnenden Entscheidung vom 7.10.2014 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sei nicht möglich, weil die Klägerin ihren Mitwirkungspflichten erst nach Ablauf der Einspruchsfrist nachgekommen sei. Hiergegen erhob die Klägerin am 25.06.2015 Einspruch, welchen die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 28.09.2015 zurückwies.
Mit der am 22.10.2015 erhobenen Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend:
A sei im Streitzeitraum durchgängig ausbildungssuchend gewesen. Die Klägerin habe die angeforderten Nachweise auch bereits vor Erlass des ablehnenden Bescheides vom 7.10.2014 eingereicht. Nachdem ihr bei einem Telefongespräch mit der Sachbearbeitung der Beklagten vom 18.09.2014 mitgeteilt worden sei, dass die Unterlagen dort nicht eingegangen seien, habe sie die Unterlagen ein zweites Mal zusammengestellt und wenige Tage nach dem Telefongespräch vom 18.09.2014 auf den Postweg verbracht. Vor diesem Hintergrund müsse sich die Klägerin kein grobes Verschulden im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zurechnen lassen. Unabhängig davon sei die Rechtsbehelfsbelehrung der Beklagten im Bescheid vom 7.10.2014 unrichtig erteilt, weil die Behörde, bei der der Einspruch einzulegen sei, widersprüchlich bezeichnet sei. Es gelte daher gemäß § 356 Abs. 2 AO die einjährige Einspruchsfrist, welche hier gewahrt sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide vom 7. Oktober 2014 und vom 22. Mai 2015, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. September 2015, zu verpflichten, der Klägerin für A Kindergeld im Zeitraum von November 2013 bis Oktober 2014 zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der ablehnende Bescheid vom 7.10.2014 sei mit Ablauf der gemäß § 355 Abs. 1 AO geltenden einmonatigen Einspruchsfrist in Bestandskraft gewachsen, so dass der Einspruch der Klägerin vom 25.06.2015 verfristet sei. Eine Änderung des ablehnenden Bescheides gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO komme ebenfalls nicht in Betracht, weil die Klägerin die erforderlichen Nachweise nicht innerhalb der einmonatigen Einspruchsfrist vorgebracht habe. Die Einspruchsfrist sei hier auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung auf ein Jahr verlängert. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vo...