Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. Rechtsschutzbedürfnis eines Leistungsträgers. analoge Anwendung des § 37 Abs 4 SGB 5 für die Zeit eines Krankenhausaufenthaltes. Beachtung des Gleichbehandlungsgebotes
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Beschwerde eines Leistungsträgers liegt auch dann ein Rechtsschutzbedürfnis vor, wenn dieser der einstweiligen Anordnung durch das Sozialgericht nachgekommen ist.
2. Zur analogen Anwendung des § 37 Abs 4 SGB 5 für die Zeit eines Krankenhausaufenthaltes und Einsatz der Pflegekräfte dort.
Orientierungssatz
Es würde gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 GG verstoßen, wenn Personen, die nach dem SGB 12 ihre Pflege durch von ihnen beschäftigte besondere Pflegekräfte ambulant sicherstellen gegenüber Personen, die diese Pflege über § 37 SGB 5 erhalten sollen, unterschiedlich behandelt würden.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 1. Juli 2013 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutz über eine Kostenerstattung für die beim Antragsteller angestellten Pflegekräfte während der Zeit seines Krankenhausaufenthaltes.
Der 1965 geborene und bei der Antragsgegnerin versicherte Antragsteller leidet seit ca. 2008 an einer amyotrophen Lateralsklerose. Dabei handelt es sich um eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems mit fortschreitender Schädigung der Nervenzellen, die für die Muskelbewegungen verantwortlich sind. Aufgrund der körperlichen Einschränkungen gewährt die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen der häuslichen Krankenpflege (Intensivpflege). Von November 2011 bis. November 2012 übernahmen der A Pflegedienst bzw. der S Pflegedienst, Vertragspartner der Antragsgegnerin, die Betreuung des Antragstellers auf Kosten der Antragsgegnerin. Nachdem diese die Versorgung des Antragstellers beendet hatten, beauftragte der Antragsteller so genannte Assistenzkräfte mit der Durchführung seiner Pflege, und zwar für 24 Stunden am Tag. Die Kosten hierfür übernahm die Antragsgegnerin. Eine zunächst zwischen den Beteiligten beabsichtigte Zielvereinbarung kam bisher nicht zustande.
Im Mai und Juni 2013 waren bei dem Antragsteller die Assistenzkräfte D..., F..., Sa..., W... und Wa... angestellt, jeweils mit entsprechenden Arbeitsverträgen und 150 bzw. 160 Stunden im Monat, um so die notwendige 24-Stunden-Pflege zu gewährleisten.
Der Antragsteller liegt in einem Krankenpflegebett. Er kann sich nicht mehr bewegen. Er kann nicht sprechen. Die Kommunikation nach außen erfolgt mit Hilfe eines so genannten Augencomputers. Die Assistenzkräfte müssen dazu die so genannte ABC-Tafel nutzen, um mit dem Antragsteller zu kommunizieren.
In der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 2013 wurde der Antragsteller wegen Atemnotstand im Fa...-E...-Krankenhaus Neumünster aufgenommen und dort auf der Intensivstation für zehn Tage ins künstliche Koma versetzt. Frau F... und Frau Sa... betreuten den Antragsteller in geringerem Umfang weiterhin. Am 27. Mai 2013 wurde der Antragsteller von der Intensivstation auf die periphere Weaning-Station verlegt. Grund- und Beatmungspflege wurde vom pflegerischen Personal des Krankenhauses übernommen. An diesem Tag kam es zu einer ersten telefonischen Erörterung mit der Antragsgegnerin, nachdem ein früherer Versuch an der Urlaubsabwesenheit des zuständigen Sachbearbeiters scheiterte.
Mit Bescheid vom 30. Mai 2013 lehnte die Antragsgegnerin die Leistung von häuslicher Krankenpflege während der Krankenhausbehandlung ab, da es sich bei einem Krankenhaus um einen Ort handele, an dem häusliche Krankenpflege nicht gewährt werden könne. Für die Zeit vom 1. bis 11. Mai 2013 bewilligte die Antragsgegnerin 5.632,70 EUR. Hiergegen legte der Antragsteller mit der Begründung Widerspruch ein, dass die Betreuungssituation im Krankenhaus keine andere als zu Hause sei. Die 24-Stunden-Betreuung könne nur durch die Assistenzkräfte erfüllt werden. Diese Leistungen könne das Krankenhauspersonal nicht erbringen. Ab 7. Juni 2013 übernahmen im Einverständnis mit dem Krankenhaus die vom Antragsteller angestellten Assistenzkräfte die 24-Stunden-Betreuung. Unter dem 12. Juni 2013 teilte das Krankenhaus dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit, dass dieser, der Antragsteller, nur mit fremden Pflegekräften eingeschränkt kommunizieren könne; die Kommunikation über die ABC-Tafel durch Pflegekräfte im Krankenhaus sei schon zeitlich nicht möglich. Die seit 7. Juni 2013 dem Antragsteller wieder für 24 Stunden pro Tag zur Verfügung stehenden Bezugspersonen hätten eine deutliche Veränderung und Entspannung des Antragstellers bewirkt, wodurch eine Mobilisation ermöglicht worden sei.
Am 13. Juni 2013 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Kiel die Übernahme der Kosten für die Assistenzkräfte im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung beantrag...