rechtskräftig: ja

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Besorgnis der Befangenheit. frühere Tätigkeit in derselben Sache, rechtsfehlerhafte PKH-Entscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Mitwirkung an einem PKH-Beschluss führt für das weitere Verfahren grundsätzlich auch dann nicht zur Besorgnis der Befangenheit, wenn dieser wegen (schwerwiegender) Rechtsfehler aufgehoben wurde.

Eine frühere Tätigkeit in derselben Sache (hier PKH-Beschluss) kann nur bei Hinzutreten weiterer die Besorgnis der Befangenheit begründender Umstände im prozessleitenden Verhalten des Richters ein Ablehnungsgesuch begründen.

Solche Umstände liegen vor, wenn sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Richter bei einer erneuten Befassung mit dem Verfahren weitere Sach- und Rechtsargumente sowie die Vorgaben des Beschwerdegerichts nicht zur Kenntnis nehmen und beharrlich an seiner bisherigen (falschen) Auffassung festhalten wird.

 

Normenkette

SGG § 60 Abs. 1; ZPO § 42; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

SG Schleswig (Aktenzeichen S 17 SO 232/05)

 

Tenor

Das Ablehnungsgesuch gegen den Richter X. wegen Besorgnis der Befangenheit in dem Verfahren S 17 SO 232/05 – SG Schleswig wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob der Kläger den Richter X. in dem Klageverfahren S 17 SO 232/05 – Sozialgericht Schleswig – zu Recht wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat.

In diesem Klageverfahren begehrt der 1937 geborene und an Diabetes mellitus Typ 2 leidende Kläger einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung gemäß § 30 Abs. 5 SGB XII. Er bezieht Leistungen der Grundsicherung im Alter gemäß der §§ 41 ff. SGB XII. Seinen Antrag auf Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung lehnte die Beklagte ab, weil bei Diabetes ein solcher Bedarf nicht bestehe. Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Klageverfahrens beantragt.

Das Sozialgericht Schleswig (Richter X.) hat seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 15. August 2005 abgelehnt. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine Aussicht auf Erfolg. Der Kläger habe keinen Anspruch auf einen Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs. 5 SGB XII. Eine kostenaufwändige Ernährung sei bei Diabetes nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht veranlasst. Insofern komme es nicht mehr auf die „Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe” (im Folgenden: Empfehlungen) an, die der „Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V.” (im Folgenden: Deutscher Verein) im Jahr 1997 erarbeitet habe. Die nach dem Kenntnisstand des Gerichts aktuellste fachwissenschaftliche Stellungnahme, die die nationalen und internationalen Forschungsergebnisse zusammenfasse, sei die des Fachausschusses Ernährung der „Deutschen Diabetes Gesellschaft” aus dem Dezember 2004. Danach sei eine finanzielle Mehrbelastung von Diabetikern durch zusätzliche Kosten bei der Ernährung eindeutig zu verneinen. Erforderlich sei bei Diabetikern nur eine kohlenhydratreduzierte Ernährung. Diese sei nicht aufwändiger als eine durchschnittliche Ernährung.

Mit seiner Beschwerde hiergegen hat der Kläger vorgetragen, die Stellungnahme der „Deutschen Diabetes Gesellschaft” sei keine fundierte wissenschaftliche Stellungnahme, die geeignet wäre, Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung zu sein. In der Presse sei zudem wiederholt der Vorwurf laut geworden, die „Deutsche Diabetes Gesellschaft” stehe der Pharmaindustrie nahe und werde durch diese größtenteils finanziert. Es überrasche deshalb nicht, dass die „Deutsche Diabetes Gesellschaft” eine allein medikamentöse Behandlung der Diabeteserkrankung für ausreichend halte und eine ergänzende Therapie durch Diätprodukte und hochwertige Nahrungsmittel ablehne. Die Empfehlungen des „Deutschen Vereins” seien demgegenüber eine wissenschaftlich fundierte Studie. Der Beschwerde wurde durch Richter X. nicht abgeholfen.

Das Landessozialgericht hat die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts zurückgewiesen und den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten als Rechtsanwalt abgelehnt (Beschluss vom 24. November 2005 – L 9 B 259/05 SO PKH). Die Beschwerde sei nicht begründet.

Gegen die genannten Beschlüsse des Sozialgerichts Schleswig und des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts hat der Kläger Verfassungsbeschwerde erhoben. Mit Beschluss vom 20. Juni 2006 – 1 BvR 2673/05 – hat das Bundesverfassungsgericht diese Beschlüsse aufgehoben. Die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das sozialgerichtliche Verfahren verletze den Kläger/Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz).

Zur Begründung hat das Bundesverfassungsgericht u. a. ausgeführt:

„Die Sozialgerichte haben dadurch den Anspruch des Beschwerdeführers auf Rechtsschutzgleichheit verletzt. Denn ihre Entscheidungen haben zur Folge, dass die ablehnenden Verwaltungsentscheidungen zum Mehraufw...

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