Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. rückwirkende Bewilligung
Leitsatz (amtlich)
Eine rückwirkende PKH-Bewilligung ist möglich, kann sich aber frühestens auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife beziehen. Voraussetzung ist stets das Vorliegen eines vollständigen Antrags einschließlich der ausgefüllten und ggf belegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse.
Tenor
Die Beschwerde der Kläger bzw. ihres Prozessbevollmächtigten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 15. März 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
In dem am 3. Mai 2010 bei dem Sozialgericht Lübeck eingeleiteten Klageverfahren S 21 AS 551/10 bestellte sich Rechtsanwalt B... mit am 7. März 2011 eingegangenem Schriftsatz zum Prozessbevollmächtigten der Kläger und beantragte, den Klägern unter seiner Beiordnung Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren. Er kündigte an, die diesbezüglichen Unterlagen alsbald nachzureichen. Am 8. März 2010 telefonierte die Kammervorsitzende mit Rechtsanwalt B... wegen eines in dieser Sache auf den 16. März 2011 anberaumten Verhandlungstermins; der Rechtsanwalt nahm dabei einen zwecks seiner Einarbeitung in den Streitstoff zunächst gestellten Antrag auf Terminsaufhebung zurück. Mit Schriftsatz vom 11. März 2011 - ausweislich des Eingangsstempel des Sozialgerichts eingegangen am 14. März 2011 - reichte der Rechtsanwalt die Erklärung der Kläger über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ein; mit am 15. März 2011 eingegangenen Schriftsatz nahm er nach zuvor erfolgter Akteneinsicht zur Sache Stellung. Mit Beschluss vom 15. März 2011, zugestellt am 31. März 2011, bewilligte das Sozialgericht den Klägern PKH unter Beiordnung von Rechtsanwalt B... ab dem 14. März 2011. Zur Begründung der zeitlichen Beschränkung heißt es in dem Beschluss, dass ein ordnungsgemäßer PKH-Antrag, d.h. das gemäß § 117 Abs. 3 (gemeint: Abs. 2 i.V.m. Abs. 4) Zivilprozessordnung (ZPO) obligatorische Formular für die Erklärung der Kläger über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, dem Gericht erst seit diesem Tag vorliege. Die Rechtsbehelfsbelehrung ging dahin, dass gegen die PKH-Bewilligung die Beschwerde der Staatskasse stattfinde.
Im Termin am 16. März 2011 beendeten die Beteiligten den Rechtsstreit mit einem Vergleich; der Beklagte übernahm dabei ein Fünftel der außergerichtlichen Kosten der Kläger.
Der am 4. April 2011 eingegangene Kostenfestsetzungsantrag des Prozessbevollmächtigten der Kläger belief sich auf insgesamt 1.171,14 EUR. Mit Beschluss vom 19. April 2011 setzte das Sozialgericht die dem Rechtsanwalt B... aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung auf 837,88 EUR fest und führte unter anderem aus, dass nur die nach dem 14. März 2011 (Eingang der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse) geleistete anwaltliche Tätigkeit bei der Festsetzung zu berücksichtigen sei. Hiergegen legte Rechtsanwalt B... mit am 5. Mai 2011 eingegangenem Schriftsatz Erinnerung ein und machte geltend, dass seine Tätigkeit mit dem 7. März 2011 begonnen habe. Es sei nicht gerechtfertigt, die vor dem 14. März 2011 geleistete anwaltliche Tätigkeit unberücksichtigt zu lassen. Auf Nachfrage des Sozialgerichts stellte der Prozessbevollmächtigte der Kläger mit Schriftsatz vom 4. August 2011 klar, dass seine Erinnerung als Beschwerde gegen den PKH-Beschluss vom 15. März 2011 angesehen werden solle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der dem Senat vorliegenden Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, soweit sie sich gegen die mit dem angefochtenen Beschluss vom 15. März 2011 konkludent erfolgte PKH-Versagung für die Zeit vor Eingang der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger bei Gericht am 14. März 2011 richtet. Insbesondere ist diese Versagung nicht vom Beschwerdeausschluss nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erfasst. Die Beschwerdefrist ist nach § 173 i.V.m. § 66 Abs. 2 SGG gewahrt, weil die Rechtsbehelfsbelehrung - bezogen auf die Beschwerde gegen die teilweise Versagung von PKH - unvollständig war.
Soweit der Beschluss vom 15. März 2011 im Aktivrubrum auch den Sohn Finn der Kläger zu 1. und 2. aufführt, handelt es sich um ein offensichtliches Versehen, nachdem die Kläger zu 1. und 2. die Klage insoweit mit Erklärung vom 26. Mai 2010 zurückgenommen haben.
In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat PKH zu Recht und aus zutreffenden Gründen erst ab dem 14. März 2011 bewilligt, weil die Erklärung der Kläger über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ausweislich des Eingangsstempels erst an diesem Tag bei Gericht eingegangen ist. Gemäß § 73a SGG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO setzt die Gewährung von PKH neben der hier nicht weiter zu erörternden Frage der Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung voraus, dass...