Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittel. Leistungsausschluss nach § 34 Abs 1 S 7 und 8 SGB 5 verstößt nicht gegen höherrangiges Recht
Orientierungssatz
1. Die Regelung des § 34 Abs 1 S 8 SGB 5 enthält eine Aufzählung mehrerer Indikationen, die alternativ nebeneinander stehen. Ohne Bedeutung ist dabei, worauf die Gesundheitsstörung zurückzuführen ist. Dass hinsichtlich der Ursache der erektilen Dysfunktion vom Gesetzgeber nicht differenziert wurde, ist auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.
2. Der Leistungsausschluss nach § 34 Abs 1 S 7 und 8 SGB 5 verstößt nicht gegen die UN-Behindertenkonvention - CRPD (juris: BRK).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. Mai 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger die Kosten für den Erwerb des Arzneimittels Cialis zu erstatten hat bzw. ob sie verpflichtet ist, ihm dieses Arzneimittel als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.
Der 1961 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Kläger leidet an einer chronisch progredienten Multiplen Sklerose. Seit 2008 bezieht er eine Rente wegen Erwerbsminderung. Im Januar 2007 bat er um Erstattung der von ihm u. a. in den Jahren 2005 und 2006 erbrachten Zahlungen für den Erwerb des Arzneimittels Cialis. Dabei handelt es sich um ein Arzneimittel mit dem Wirkstoff Tadalafil zur Behandlung erektiler Dysfunktion. Seine Begründung ging dahin, dass auch ein behinderter Mensch das Grundrecht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und ein Recht auf Sexualleben habe und ihm ein solches nach Verordnung und Einnahme dieses Medikaments möglich sei. Mit Bescheid vom 13. Februar 2007 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab, weil Cialis zu den Arzneimitteln gehöre, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund stehe und solche Arzneimittel von der Versorgung ausgeschlossen seien. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, wiederholte im Wesentlichen seine Begründung aus dem Antrag und übersandte Arztberichte. Mit Widerspruchsbescheid vom 3. April 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Erstattungsanspruch scheitere bereits daran, dass sich der Kläger nicht vorher mit der Beklagten ins Benehmen gesetzt habe. Eine Kostenübernahme wäre aber auch rechtlich nicht möglich gewesen und sei deshalb für die Zukunft ausgeschlossen, weil nach § 34 Abs. 1 Satz 7 und 8 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) seit 2004 die Versorgung mit Arzneimitteln zur Behandlung der erektilen Dysfunktion ausgeschlossen sei. Gleiches folge aus den Arzneimittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses. Nach Abschnitt F Nr. 18.3 in Verbindung mit Anlage 8 der Richtlinien sei als ausgeschlossenes Präparat explizit Cialis genannt.
Der Kläger hat am 2. Mai 2008 beim Sozialgericht Lübeck Klage erhoben. Zur weiteren Begründung trägt er vor, der Ausschluss des § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V erfasse nur die Fälle, dass die erektile Dysfunktion eine altersbedingte Erscheinung ohne Krankheitswert sei. Ein solcher Fall liege bei ihm nicht vor. Ein entsprechender Ausschluss wäre auch verfassungsrechtlich unzulässig, da hierin ein Verstoß gegen Art. 2 und 3 des Grundgesetzes (GG) liege. Für ihn, den Kläger, stehe bei der Verordnung von Cialis nicht die Erhöhung der Lebensqualität, sondern die Behandlung einer Krankheit im Vordergrund.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2007 in Form des Widerspruchsbescheides vom 3. April 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten des Klägers für das Medikament Cialis seit dem 13. Februar 2007 zu erstatten und für die Zukunft zu übernehmen, hilfsweise den Rechtsstreit zu vertagen und ein sexual-wissenschaftliches Gutachten einzuholen, um die Bedeutung einer normal gelebten Sexualität für die psychische und physische Gesundheit des Klägers oder auch von Menschen mit entsprechenden Krankheiten insgesamt herauszuarbeiten, zum Nachweis, dass die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durch eine nicht behandelte Erektionsstörung erheblich beeinträchtigt ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 4. Mai 2010 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Anspruch auf Erstattung der der Ablehnung der Beklagten nachfolgenden Leistungen stehe bereits entgegen, dass die Behandlung vor der Ablehnung begonnen habe und sich damit die Ablehnung auf den weiteren Verhandlungsverlauf habe nicht mehr auswirken können. Aber auch unabhängig davon scheide der Anspruch auf eine Versorgung mit dem Medikament Cialis aus, weil Präparate gegen erektile Dysfunktion seit 2004 von der Versorgung ausgeschlossen seien. Darin liege kein Verstoß ge...