Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Absetzung von Unterhaltszahlungen. Jugendamtsurkunde als Unterhaltstitel. Pfändbarkeit keine Voraussetzung
Orientierungssatz
1. Ein Unterhaltstitel iS von § 11 Abs 2 S 1 Nr 7 SGB 2 aF bzw § 11b Abs 1 S 1 Nr 7 SGB 2 nF liegt auch vor, wenn sich der Unterhaltsschuldner in einer Jugendamtsurkunde zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet hat. In diesem Fall bedarf es regelmäßig keiner eigenen Feststellungen des Grundsicherungsträgers zur Höhe des Unterhaltsanspruchs. (vgl BSG vom 9.11.2010 - B 4 AS 78/10 R = BSGE 107, 106 = SozR 4-4200 § 11 Nr 35).
2. Irrelevant für die Absetzbarkeit der aufgrund des Unterhaltstitels tatsächlich geleisteten Unterhaltszahlungen ist, ob der Unterhaltsanspruch erfolgreich gepfändet werden könnte oder ob er ohne Leistungen nach SGB 2 überhaupt realisierbar wäre.
Normenkette
SGB II § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 7, Abs. 2-3; BGB § 1601 ff.
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 8. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt … wird abgelehnt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 8. Februar 2012, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (§ 142 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antragsgegner zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für den Zeitraum vom 26. Januar 2012 bis 31. Mai 2012 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Höhe von monatlich 196,00 EUR sowie für den Zeitraum vom 1. Februar 2012 bis 31. Mai 2012 zusätzlich einen Mehrbedarf in Höhe von 262,40 EUR zu gewähren. Die dagegen erhobene Beschwerde des Antragsgegners richtet sich ausschließlich dagegen, dass bei der Berechnung des monatlichen Nebeneinkommens des Antragstellers in Höhe von 400,00 EUR ein Betrag von 245,00 EUR monatlich als Unterhaltsleistung an die am 18. April 2001 geborene Tochter des Antragstellers in Abzug gebracht wurde. Die Absetzung ist aber - worauf der Senat bereits mit Verfügung vom 6. März 2012 hingewiesen hat - nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist die Unterhaltszahlung an die Tochter des Antragstellers nicht deswegen außer Acht zu lassen, weil der Antragsteller erst durch die Leistungsgewährung zur Zahlung von Unterhalt in die Lage versetzt wird.
Die Unterhaltszahlungen an die Tochter des Antragstellers sind von seinem Erwerbseinkommen abzuziehen. Insofern bestimmt § 11 Abs. 2 Nr. 7 SGB II, dass Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag vom Einkommen abzusetzen sind. Ein Unterhaltstitel im Sinne dieser Vorschrift liegt auch vor, wenn sich der Unterhaltsschuldner - wie hier - in einer Jugendamtsurkunde zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 78/10 R -, zitiert nach juris; Söhngen in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 11b m.w.N.). Der Antragsteller hat den in der Unterhaltsurkunde festgelegten Unterhalt auch tatsächlich geleistet (zu diesem Erfordernis: BSG, Urteil vom 30. September 2008 - B 4 AS 57/07 R -, zitiert nach juris). Er hat bis 14. Dezember 2011 Arbeitslosengeld I bezogen und regelmäßig Unterhalt an seine Tochter gezahlt. Dies wird auch von dem Antragsgegner nicht bestritten, wenn im Schriftsatz vom 7. Februar 2012 eine Unterhaltszahlung bis Januar 2012 eingeräumt wird. Der Antragsteller leistet auch seitdem regelmäßig Unterhalt. Dass der für Januar 2012 zu zahlende Unterhalt dabei wegen der erst mit Beschluss vom 8. Februar 2012 erfolgten Leistungsverpflichtung des Antragsgegners ratenweise erfolgt, ist unerheblich. Seit Februar 2012 leistet der Antragsteller regelmäßig den vollen Unterhaltsbetrag von 245,00 EUR auf das Konto der Kindesmutter. Dies hat die geschiedene Ehefrau des Antragstellers mit schriftlicher Erklärung vom 26. Februar 2012 bestätigt. Die Unterhaltszahlungen des Antragstellers erfolgen auch zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltspflichten, weil der Antragsteller seiner Tochter gegenüber nach den Regelungen des Verwandtenunterhalts der §§ 1601 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zum Unterhalt verpflichtet ist. Indem der Gesetzgeber des SGB II für die Höhe des vom Einkommen abzusetzenden Unterhaltsbetrages an den in einem Unterhaltstitel festgesetzten Unterhaltsanspruch anknüpft, unterstellt er im Sinne einer verwaltungspraktischen Anwendbarkeit der SGB II-Vorschriften zur Einkommensberücksichtigung typisierend, dass ein nach Maßgabe der §§ 1601 ff. BGB gegebener Unterhaltsanspruch auch in der festgelegten Höhe be...