Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsbehelf gegen eine überlange gerichtliche Verfahrensdauer

 

Orientierungssatz

1. Das Gesetz sieht in § 172 SGG Rechtsmittel gegen ein Nichtentscheiden des Gerichts nicht vor.

2. Eine sog. Untätigkeitsbeschwerde kann auch nicht durch richterrechtliche Rechtsfortbildung begründet werden.

 

Tenor

Die Untätigkeitsbeschwerde des Antragstellers wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die am 2. März 2009 von dem Antragsteller erhobene Beschwerde wegen Untätigkeit im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren zu dem Klageverfahren S 9 AS 109/09 ist mangels Rechtsgrundlage unzulässig.

Nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) findet die Beschwerde an das Landessozialgericht gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist. Eine solche beschwerdefähige Entscheidung des Sozialgerichts liegt bisher nicht vor. Rechtsmittel gegen ein “Nichtentscheiden„ sieht § 172 SGG nicht vor. Weitere gesetzliche Rechtsgrundlagen existieren nicht.

Die Untätigkeitsbeschwerde kann auch nicht durch richterrechtliche Rechtsfortbildung entwickelt oder begründet werden. Mit ihr wäre im Ergebnis ein außerordentlicher Rechtsbehelf geschaffen, dessen Voraussetzung und Folgewirkung unklar wären und der deshalb den rechtsstaatlichen Erfordernissen der Rechtsmittelklarheit nicht genügen würde. Das ist sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) als auch nach der des Bundessozialgerichts (BSG) ausgeschlossen. Das rechtsstaatliche Erfordernis der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns gebietet es nämlich, dem Rechtsuchenden den Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen klar vorzuzeichnen (BVerfG, Beschl. v. 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395). Die rechtliche Ausgestaltung des Rechtsmittels soll dem Bürger die Prüfung ermöglichen, ob und unter welchen Voraussetzungen es zulässig ist, welche Ziele er damit erreichen kann und wie er vorgehen muss. Es verstößt deshalb gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen der Rechtsmittelklarheit, wenn von der Rechtsprechung außerordentliche Rechtsbehelfe außerhalb des geschriebenen Rechts geschaffen werden, um tatsächliche oder vermeintliche Lücken im bisherigen Rechtsschutzsystem zu schließen (BVerfG, Beschl. v. 16. Januar 2007 - 1 BvR 2803/06; BSG, Beschl. v. 6. Februar 2008 - B 6 KA 61/07 B, m. w. N.). Im Übrigen hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 8. Juni 2006 (NJW 2006, 2389) entschieden, dass eine lediglich richterrechtlich begründete außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde kein wirksamer Rechtsbehelf gegen eine überlange Verfahrensdauer ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2163855

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