Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung. Zuständigkeit der Prüfgremien wegen unzulässiger Verordnungen von Arzneimitteln. Arzneimittelrichtlinien. Rechtswidrigkeit des Ausschlusses von Mitteln zur Gewichtsreduzierung. Arzneimittelzulassung. Wirtschaftlichkeit

 

Orientierungssatz

1. Für die Entscheidung über begründete Anträge im Einzelfall auch über einen Anspruch auf Schadenersatz wegen unzulässiger Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind (hierunter fallen auch Verordnungen, die gegen die Arzneimittel-Richtlinien verstoßen) oder fehlerhafte Ausstellung von Bescheinigungen sind die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung umfassend zuständig (vgl BSG vom 14.3.2001 - B 6 KA 19/00 R = SozR 3-2500 § 106 Nr 53).

2. Die Arzneimittelrichtlinien sind mit dem Ausschluss von Arzneimitteln, die dem Ziel der Gewichtsreduzierung dienen (hier: Xenical), von der Ermächtigungsgrundlage des § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB 5 nicht gedeckt, da der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nicht ermächtigt ist, unwirtschaftliche Arzneimittel aus der Krankenversicherung auszuschließen.

3. In der Zulassung eines Arzneimittels ist zumindest ein Indiz dafür zu sehen, dass die Verordnung in einem Anwendungsgebiet, auf das sich die Zulassung erstreckt, auch wirtschaftlich ist.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 29. Mai 2002 sowie der Bescheid des Beklagten vom 22. Juni 2000 aufgehoben.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im gesamten Verfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Umstritten ist die Rechtmäßigkeit eines Arzneimittelregresses für das I. Quartal 1999.

Der Kläger ist als praktischer Arzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im Rahmen der ambulanten Versorgung von zwei bei der Beigeladenen versicherten Patienten verordnete er im Januar und März 1999 das Medikament Xenical. Dieses Arzneimittel war im Juli 1998 durch die zuständigen Behörden zugelassen worden. Anwendungsgebiet ist danach die Behandlung von adipösen Patienten mit einem Körpermassenindex (body mass index - BMI) von wenigstens 30 kg/m² oder von übergewichtigen Patienten (BMI wenigstens 28 kg/m²) mit begleitenden Risikofaktoren. Arzneilich wirksamer Bestandteil des Medikaments ist Orlistat, das die Resorption der mit der Nahrung aufgenommenen Fette im Darm einschränkt.

Die beigeladene Krankenkasse beantragte am 13. September 1999 bei dem Prüfungsausschuss die Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 12 Abs. 3 der für Schleswig-Holstein zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und den Krankenkassen geschlossenen gemeinsamen Prüfvereinbarung vertragsärztliche Versorgung vom 15. Mai 1995 (PV). In der dazu abgegebenen Stellungnahme erklärte der Kläger, dass die beiden behandelten Patienten unter schwerer sekundärer Erkrankung aufgrund ihrer massiven Adipositas litten. Alle anderen Versuche zur Bekämpfung des Übergewichts seien erfolglos gewesen. Nach der Auskunft "seines Apothekers" sei die Verordnung des Medikaments Xenical zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung zulässig. Mit Beschluss vom 13. Oktober 1999/Bescheid vom 20. Dezember 1999 setzte der Prüfungsausschuss den Schadenersatz auf 376,20 DM fest. Den dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies der Beschwerdeausschuss mit Beschluss vom 3. Mai 2000/Bescheid vom 22. Juni 2000 zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Bei dem Medikament Xenical handele es sich um einen Appetitzügler. Unter dieser Rubrik sei das Präparat auch in der "Roten Liste" aufgeführt. Gemäß Nr. 17.1.j) der Arzneimittelrichtlinien (AMR) dürften Abmagerungsmittel und Appetitzügler nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Da die Verordnung des Medikaments Xenical gegen die genannte Bestimmung der AMR verstoße, sei der Widerspruch zurückzuweisen.

Dagegen hat der Kläger am 19. Juli 2000 Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Das Arzneimittel Xenical werde zur Behandlung der Adipositas in Verbindung mit einer leicht kalorienreduzierten Kost eingesetzt. Es handele sich um ein auf Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von der zuständigen Bundesoberbehörde überprüftes innovatives Arzneimittel. Dieses Arzneimittel sei gerade bezogen auf Fälle der vorliegenden Art auch verordnungsfähig. Bestimmungen der AMR stünden dem nicht entgegen. Das folge bereits aus der Formulierung der Nr. 17 AMR, in der es ausdrücklich nur heiße, dass für die dort genannten Arzneimittel "im Allgemeinen" die Voraussetzungen für eine Verordnung zulasten der Krankenkasse nicht gegeben seien, weil das Behandlungsziel ebenso durch nicht medikamentöse Maßnahmen erreicht werden könne. Daraus folge, dass in bestimmten Fällen eine Verordnung und Erstattung möglich sei. Im vorliegenden Fall habe der Kläger Patienten mit schwerer und schwerster Fettleibigkeit (body mass index über 30) behandelt, die im Zusammenhang mit der Adipositas mehrere sekundäre E...

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