Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflegeversicherung. vollstationäre Pflege. vorherige Feststellung von Pflegebedürftigkeit. Nichtberücksichtigung von sozialer Betreuung durch Pflegeeinrichtung. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Die Leistung nach Art 49a § 1 PflegeVG iVm § 43 Abs 2 S 1 SGB 11 setzt die vorherige Feststellung von Pflegebedürftigkeit und die Einordnung in eine der Pflegestufen von I bis III voraus.
2. Bei der Ermittlung des Hilfebedarfs in der Grundpflege nach §§ 14, 15 SGB 11 können außer Körperpflege, Ernährung und Mobilität sowie hauswirtschaftliche Versorgung weitere Verrichtungen wie die von einer Pflegeeinrichtung geleistete "soziale Betreuung" nicht berücksichtigt werden.
3. Die Katalogverrichtungen sind nicht deshalb zu erweitern, weil eine Pflegeeinrichtung zwar die Leistung "soziale Betreuung" zu erbringen hat, diese aber nicht bei der Ermittlung des Pflegeaufwandes mitzurechnen ist.
4. Die Nichtberücksichtigung weiterer Verrichtungen bei der Ermittlung des Hilfebedarfs nach §§ 14, 15 SGB 11 verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) in Verbindung mit Art. 49 a § 1 des Pflegeversicherungsgesetzes (PflegeVG) ab 1. Juli 1996.
Bei dem 1937 geborenen Kläger besteht ein Zustand nach Alkoholabusus. Er lebt nach einem längeren Aufenthalt in dem Universitätskrankenhaus E (Abteilung Psychiatrie) seit 1990 in dem von seinen Bevollmächtigten betriebenen Heim D wegen Mittellosigkeit und der Gefahr der Verwahrlosung. Ein Betreuer ist nicht bestellt. Am 27. Februar 1996 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen der vollstationären Pflege.
Die Beklagte ließ den Kläger durch Dr. vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) begutachten (Untersuchungstag: 17. April 1996) und lehnte sodann mit Bescheid vom 30. Juni 1996 die Gewährung von Leistungen ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger erhalte lediglich hauswirtschaftliche Versorgung im üblichen Umfang durch das Heim. Er arbeite im Garten und helfe als Hausmeister. Die Voraussetzungen für die Pflegestufe I lägen keinesfalls vor.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch und trug vor, nach seiner Auffassung sei die Beklagte auch verpflichtet, für seinen Bedarf an Behandlungspflege und an sozialer Betreuung als Leistung der Pflegeversicherung aufzukommen. Diese Hilfen seien neu in das Gesetz aufgenommen worden. Hilfsweise müsse der Bedarf an sozialer Betreuung durch einen Gutachter festgestellt werden. Er helfe nämlich nicht als Hausmeister, sondern dem Hausmeister als Bestandteil seiner sozialen Betreuung.
Die Beklagte holte erneut ein ärztliches Gutachten des MDK (Untersuchungstag 13. November 1996) ein und wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 30. Dezember 1996 zurück. Zur Begründung führte sie aus, nach den von ihr veranlaßten Begutachtungen liege der Schwerpunkt des Pflegebedarfs in der sozialen Betreuung durch Aufsicht, Anleitung und Überwachung bei allen Verrichtungen, weil sonst eine Verwahrlosung eintreten würde. Der Kläger benötige Aufsicht bei der Körperpflege und führe diese dann selbständig aus. Der zeitliche Betreuungsaufwand liege bei täglich 40 Minuten und erreiche damit auch unter Berücksichtigung pflegeunterstützender Maßnahmen nicht das Mindestmaß der Pflegestufe I.
Gegen diesen ihm nach eigenen Angaben am 3. Januar 1997 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger mit einem am 3. Februar 1997 beim Sozialgericht Lübeck eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben. Er hat die Einordnung in eine seiner psychischen Behinderung entsprechenden Pflegestufe begehrt und vorgetragen: Er sei grundsätzlich mit der vom Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des SGB XI gefundenen Regelung nicht einverstanden. Dieser habe zwar in § 1 Ziffer 4, § 2 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 SGB XI die Ziele der sozialen Pflegeversicherung normiert. Mit einer Beschränkung der berücksichtigungsfähigen Verrichtungen auf den Katalog des § 15 Abs. 4 SGB XI seien aber die Hilfebedürfnisse psychisch Kranker oder Behinderter, die vornehmlich in sozialer Betreuung lägen, nur unzureichend berücksichtigt worden. Am 25. Juni 1996 sei die Berücksichtigung auch der sozialen Betreuung als Pflichtleistung in § 43 Abs. 2 SGB XI, nicht jedoch in die Begutachtungsrichtlinien aufgenommen worden. Der Bedarf an sozialer Betreuung sei daher nach dem Willen des Gesetzgebers zusätzlich zu den übrigen Hilfebedürfnissen bei der Ermittlung des Hilfebedarfes zu berücksichtigen. Sein Grundbedarf an Beschäftigung im Rahmen der sozialen Betreuung sei im Einvernehmen mit dem Amtsarzt, wie für die anderen Heimbewohner auch, auf 10 Stunden wöchentlich festgelegt worden. Für ihn würde von dem Träger der Sozialhilfe ein täglicher Pflegesatz von 185,50 DM gezahlt. Ein Anspruch aus dem Pflegeversicherungsgesetz müßte dagegen selbstverständlich in Abzug gebracht werden.