Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzgeld. Insolvenzereignis. Zahlungsunfähigkeit. Scheinfirma. Tatbestandswirkung eines arbeitsgerichtlichen Versäumnisurteils. Anspruch auf Insolvenzgeld bei nicht betriebener Scheinfirma
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der Beurteilung, ob ein Insolvenzereignis vorliegt, ist das Sozialgericht an ein arbeitsgerichtliches Versäumnisurteil nicht gebunden.
2. Die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit ist als Insolvenzereignis i.S.v. § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III nur beachtlich, wenn sie auf Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zurückzuführen ist. Einer Zahlungsunwilligkeit allein kann für das Insolvenzgeld keine leistungsauslösende Wirkung beigemessen werden. Für eine Zahlungsunwilligkeit spricht, dass in keinem einzigen Fall tatsächlich eine Zahlung von Arbeitsengelt erfolgt ist.
Normenkette
SGB III § 183 Abs. 1 S. 1
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 7. April 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über Insolvenzgeld (Insg).
Der ...1960 geborene Kläger stellte am 8. Juni 2004 einen Antrag auf Insg und gab an, bei der zahlungsunfähigen Firma e.... & Co KG i.G. in M. (im Folgenden: e...) bis zum 7. Juni 2004 als Produktionshelfer beschäftigt gewesen zu sein. Diese Firma habe ihre Betriebstätigkeit vollständig beendet. Beigefügt war ein Schreiben der e... vom 7. Juni 2004, mit dem das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt worden war. Zur Begründung heißt es in dem Schreiben, die Geschäftsleitung habe sich entschlossen, den gesamten Betrieb für einen seiner Dauer nach unbestimmten, wirtschaftlich nicht unerheblichen Zeitraum aufzuheben, weil bei vernünftiger betriebswirtschaftlicher Betrachtung eine Aufrechterhaltung des Betriebs nicht möglich sei. Hintergrund sei eine polizeiliche Durchsuchung der Berliner Geschäftsräume der e... am 24. Mai 2004, bei der ein Großteil der Geschäftsunterlagen sichergestellt worden sei. Die polizeilichen Ermittlungen hätten das Vertrauen der Endabnehmer in die e... erschüttert und dazu geführt, dass wichtige Aufträge gekündigt worden seien. Eine ordnungsgemäße Gehaltsabrechnung sei derzeit nicht möglich, weil sich auch die Personalunterlagen einschließlich der Lohnsteuerkarte des Klägers bei der Polizei befänden. Ergänzend gab der Kläger an, dass für die Zeit vom 10. bis 31. Mai 2004 noch Brutto-Arbeitsentgelt in Höhe von 969,00 EUR (drei Wochen à 34 Stunden x 9,50 EUR Stundenlohn) und für die Zeit vom 1. bis 7. Juni 2004 in Höhe von 323,00 EUR (5 Arbeitstage à 6,8 Stunden x 9,50 EUR) ausstehe.
Auf Anforderung der Beklagten legte der Kläger auch den am 29. April 2004 unterzeichneten Arbeitsvertrag vor, der sich auf eine Tätigkeit des Klägers als Produktionshelfer in H. bezog und einen Arbeitsbeginn am 10. Mai 2004 vorsah. Auf den Vertrag wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 1. Juli 2004 lehnte die Beklagte den Insg-Antrag unter Bezugnahme auf § 183 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) mit der Begründung ab, dass ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden sei und die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit nicht habe festgestellt werden können. Die Voraussetzungen der Zahlung von Insg lägen deshalb nicht vor.
Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Widerspruchs führte der Kläger aus, dass seine ehemalige Arbeitgeberin ihre Betriebstätigkeit im Inland vollständig eingestellt habe. Die Betriebsstätte in H. sei geschlossen. Zahlungen habe die Firma auf das zurückliegende Arbeitsverhältnis nicht geleistet. Ein Insolvenzverfahren komme offensichtlich nicht in Betracht, weil keine Masse vorhanden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2004 wies die Beklagte den Widerspruch unter Wiederholung und Vertiefung des Ausgangsbescheides als unbegründet zurück.
Der Kläger hat am 5. August 2004 bei dem Sozialgericht Lübeck Klage erhoben. Zur Begründung hat er sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und ergänzend darauf hingewiesen, dass zwischenzeitlich gegen die e... wegen bandenmäßigen/gewerbsmäßigen Betruges ermittelt werde. Bereits dieses Ermittlungsverfahren mache deutlich, dass seine ehemalige Arbeitgeberin die Betriebstätigkeit insgesamt eingestellt habe. Er selbst habe vor dem Arbeitsgericht Hamburg sein Gehalt für die Zeit vom 10. Mai bis 7. Juni 2004 eingeklagt (Az. 12 Ca 366/04). Ansprüche aus dem zu erwartenden Titel würden aber nicht zu realisieren sein. In der Zeit vom 10. Mai bis 7. Juni 2004 habe er tatsächlich gearbeitet.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 1. Juli 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Insolvenzgeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ergänzend hat si...