Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. keine Leistungspflicht für Verhaltenstherapie zur Raucherentwöhnung. Verordnungsausschluss von Arzneimitteln zur Nikotinentwöhnung (hier: Nicotinell). Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Verhaltenstherapie zur Raucherentwöhnung ist keine von der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringende Leistung.
2. Der Nikotinentwöhnung dienende Medikamente (hier: Nicotinell) sind von ärztlicher Verordnung auch im Rahmen eines ärztlichen Behandlungskonzepts ausgeschlossen.
3. Der Ausschluss dieser Leistungen verstößt nicht gegen das Grundgesetz.
Normenkette
SGB V § 13 Abs. 3 S. 1, § 34 Abs. 7-8, § 137f Abs. 2, § 27 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 1; PsychRL § 22 Abs. 2 Nr. 1a; GG Art. 2 Abs. 1-2, Art. 3 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 19. Juni 2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht
zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung für eine Raucherentwöhnungsbehandlung als Verhaltenstherapie in Einzeltherapie sowie für ein Medikament zur Nikotinentwöhnung.
Die Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert, sie ist langjährige Raucherin.
Am 26. März 2012 stellte der behandelnde Hausarzt Dr. R. aus E. eine Nikotinabhängigkeit, eine arterielle Hypertonie und eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) fest. Ebenfalls am 26. März 2012 verordnete er der Klägerin eine Einzeltherapie zur Raucherentwöhnung nach § 27 Satz 1 und § 43 Satz 1 Nr. 2 SGB V und beantragte die Kostenübernahme von Therapiekosten in Höhe von insgesamt 300,00 EUR sowie die Kostenübernahme für Medikamente zur Nikotinentwöhnung. Ebenfalls am 26. März 2012 erfolgte laut Rechnung vom 15. November 2013 eine Beratung, systembezogene Untersuchung, Einleitung therapeutischer Maßnahmen, CO-Bestimmung der Atemluft und ein ausführlicher Krankheits- und Befundbericht.
Mit Bescheid vom 28. März 2012 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Kostenübernahme für die Patientenschulung in Höhe von 255,00 EUR (300,00 EUR ./. 15 %) und lehnte den Antrag im Übrigen ab.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 27. April 2012 Widerspruch ein. Bei der bei ihr diagnostizierten Tabakabhängigkeit handele es sich um eine Krankheit im Sinne von § 27 SGB V, zudem bestehe eine COPD, eine arterielle Hypertonie und ein Bronchialasthma, so dass ein Anspruch auf Krankenbehandlung in Form einer Raucherentwöhnungstherapie bestehe. Hinsichtlich der medikamentösen Behandlung sei § 34 SGB V hier verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass der dort normierte Ausschluss nicht greife, wenn ein solches Medikament zur Behandlung einer bereits bestehenden Erkrankung im Sinne des § 27 SGB V eingesetzt werde.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. August 2012 zurück. Zur Begründung führte sie aus, über die Kostenübernahmeerklärung in Höhe von 255,00 EUR hinaus zur Durchführung einer Patientenschulung könne keine Kostenübernahme erfolgen, da dies den aufgrund von § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB V zu gewährenden Höchstbetrag darstelle. Eine Kostenübernahme für Medikamente könne nicht erfolgen, da Medikamente zur Raucherentwöhnung gemäß § 34 Satz 7 SGB V vom Versorgungsanspruch ausgenommen seien. Eine Kostenerstattung komme ebenfalls nicht in Betracht.
Hiergegen hat die Klägerin am 7. September 2012 beim Sozialgericht Schleswig Klage erhoben und geltend gemacht, dass ihr bislang Kosten für die Raucherentwöhnungstherapie und das Medikament Nicotinell in Höhe von 1.021,29 EUR entstanden seien. Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, dass es ihr nicht um Patientenschulungsmaßnahmen gehe, sondern um Krankenbehandlung (Raucherentwöhnungstherapie). Nikotin- oder Tabakabhängigkeit sei eine Krankheit (ICD-10 F17.2) im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Diese liege bei ihr vor und habe bereits zu den festgestellten Folgeschäden geführt. Die Abhängigkeitserkrankung könne nur durch Entzug und Entwöhnung behandelt werden. Die Abstinenz in Bezug auf das Rauchen führe dazu, dass sich die Folgeerkrankungen besserten bzw. eine Verschlimmerung verhütet werde. Deshalb seien die Voraussetzungen für den Anspruch auf Krankenbehandlung erfüllt. Diese erfolge zum einen durch Medikamentengabe. Das verordnete Nicotinell sei bei verfassungskonformer Auslegung von § 34 Satz 7 und 8 SGB V nicht ausgeschlossen. Gemäß Art. 2 Abs. 1 und 2 Grundgesetz (GG) habe jeder Bürger das Recht, dass sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit geschützt werde. Deshalb dürfe die Gewährung eines Arzneimittels nicht versagt werden, wenn es notwendig sei, um eine Krankheit zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Dies gelte insbesondere hier, weil die mit dem Tabakkonsum verbundenen Folgeerkrankungen einen tödlichen Ausgang nehmen und lebensverkürzend wirken könnten. Eine bestehende Nikotinabhängigkeit führe aufgrund...