Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Erstattungspflicht des Arbeitgebers. Befreiungstatbestand. unzumutbare Belastung. Gefährdung der verbleibenden Arbeitsplätze. Kommune. Anforderungen an den Nachweis. Wesentlichkeit des Personalabbaus. Kausalität
Orientierungssatz
1. Auch eine nicht insolvenzfähige Kommune kann sich grundsätzlich zur Befreiung von der Pflicht der Erstattung des Arbeitslosengeldes auf § 128 Abs 2 Nr 2 AFG berufen (Anschluss an BSG vom 10.2.2004 - B 7 AL 98/02 R).
2. Zum Nachweis einer unzumutbaren Belastung wegen Gefährdung der nach Durchführung des Personalabbaus verbleibenden Arbeitsplätze iS des § 128 Abs 2 Nr 2 S 1 Alt 2 AFG ist es ausreichend, dass die durch die Erstattungsforderungen herbeigeführte wirtschaftliche Gesamtsituation generell geeignet ist, auch den verbleibenden Bestand an Arbeitsplätzen zu gefährden, wobei es eines Nachweises der Gefährdung konkreter Arbeitsplätze nicht bedarf (BSG aaO).
3. Der Arbeitgeber muss seinem Defizit durch wirkliche Personaleinsparungen - nicht durch bloße Personalverlagerung - begegnen und es müssen über Fluktuation und Personalplanung hinaus wegen der Erstattungsforderungen Personaleinsparungen - bezogen auf den Zeitpunkt, in dem die Erstattungsbeträge zu erheben sind - in nicht unwesentlich vermehrtem Umfang geplant sein. Der Nachweis eines wesentlichen Personalabbaus ist im Regelfall erfüllt, wenn der in § 128 Abs 1 S 2 Nr 6 AFG genannte Schwellenwert von 3 % überschritten ist.
4. Darüber hinaus ist eine unzumutbare Belastung iS des § 128 Abs 2 Nr 2 AFG nur bei ursächlichem Zusammenhang zwischen der Erstattungsforderung und der Gefährdung der verbliebenen Arbeitsplätze gegeben (Vergleiche BSG vom 22.3.2001 - B 11 AL 50/00 R = BSGE 88, 31 = SozR 3-4100 § 128 Nr 12).
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 29. Juli 1998 wird zurückgewiesen.
Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 2000 wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob sich die Klägerin als öffentlich-rechtliche Arbeitgeberin im Rahmen einer Erstattungspflicht nach § 128 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) auf die Härteklausel des § 128 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative (Gefährdung verbleibender Arbeitsplätze) berufen kann. Der Rechtsstreit wird als Musterverfahren betrieben; zwischen den Beteiligten ist eine Reihe ähnlich gelagerter Streitsachen anhängig.
Der ...1934 geborene Arbeitnehmer W. C. (C.) war von 1982 bis Ende 1994 bei der Beklagten als Friedhofsarbeiter beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis endete aufgrund Auflösungsvertrages vom 3. November 1994, den die Parteien des Arbeitsverhältnisses auf der Grundlage einer Dienstvereinbarung vom 24. März 1994 über die einvernehmliche Beendigung von Arbeitsverhältnissen im Rahmen einer Vorruhestandsregelung geschlossen haben.
Am 2. Januar 1995 meldete C. sich arbeitslos und stellte einen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg). Nachdem die Beklagte mit Bescheiden vom 9. Januar 1995 das Ruhen des Alg-Anspruchs wegen Eintritts einer 12wöchigen Sperrzeit sowie wegen des Erhalts einer Abfindung festgestellt hatte, entsprach sie dem Leistungsantrag für die Zeit ab 26. März 1995 unter den erleichterten Voraussetzungen des § 105 c AFG. Seit dem 1. Januar 1996 erhält C. von der damaligen Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein (heute: Deutsche Rentenversicherung Nord) Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.
Mit Bescheid vom 12. Juli 1995 wies die Beklagte die Klägerin auf ihre Erstattungspflicht gemäß § 128 AFG hin und forderte sie auf, für die Zeit vom 27. März bis 26. Juni 1995 (Abrechnungszeitraum) Alg sowie Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung in Höhe von insgesamt 6.074,15 DM zu erstatten. Hiergegen legte die Klägerin am 24. Juli 1995 Widerspruch ein.
Gleichzeitig beantragte sie, von der Erstattungspflicht gemäß § 128 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative AFG befreit zu werden. Zur Begründung führte sie aus, dass diesem Antrag ihre angespannte Haushaltslage zugrunde liege. Sie müsse auch im Personalkostenbereich drastische Einsparungen vornehmen. Um den notwendigen Personalabbau vornehmen zu können, sei es erforderlich, älteren Arbeitnehmer/innen das Ausscheiden im Rahmen eines sogenannten Vorruhestandes zu ermöglichen. Trotz anfänglicher Erfolge sei deutlich erkennbar, dass im Bereich der Personalausgaben noch weitere Einsparungen vorgenommen werden müssten. Dies solle auch durch zusätzliche Freisetzungen im Rahmen der Vorruhestandsregelung realisiert werden. Durch diese Maßnahmen solle erreicht werden, dass die verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährdet würden. Diesem Ziel aber laufe eine Erstattung des an ihren ehemaligen Mitarbeiter gezahlten Alg entgegen. Eine Pflicht zur Erstattung des Alg würde das Einsparungspotential reduzieren und hätte unweigerlich zur Folge, dass in entsprechender Höhe weitere Personalausgaben eingespart werd...