Leitsatz (amtlich)
1. Für eine Klage gegen die Amtsentbindung des stellvertretenden Geschäftsführers einer Krankenkasse ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben.
2. Zulässige Klageform ist die Anfechtungsklage.
3. Für die Durchführung des Widerspruchsverfahrens ist der Vorstand - nicht die für Angelegenheiten der Sozialversicherung gebildete Widerspruchsstelle - der Kasse funktional zuständig.
4. Liegen die Gründe für die Amtsentbindung in dem Verhältnis des Geschäftsführers zu seinem Stellvertreter, so ist jener von der Mitwirkung an der Entscheidung ausgeschlossen. Auch seine Mitberatung führt zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung.
5. §§ 59 Abs 2 und 3 SGB 4 enthalten unterschiedliche, auch nicht teilidentische Tatbestände.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. Oktober 1988, der Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 1985 sowie deren Widerspruchsbescheide vom 4. September und 30. Oktober 1985 aufgehoben.
Die Beklagte trägt in beiden Rechtszügen die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger zu Recht von seinem Amt als stellvertretender Geschäftsführer der Beklagten entbunden wurde.
Der ... 1942 geborene Kläger wurde von der Beklagten auf Vorschlag ihres Vorstandes mit Wirkung vom 1. Juli 1982 von der Vertreterversammlung am 12. Mai 1982 zum stellvertretenden Geschäftsführer gewählt und durch Vertrag vom 28. Mai 1982 unter Verweisung auf ihre Dienstordnung als Verwaltungsdirektor angestellt, zunächst auf Probe, ab 1. Januar 1983 auf Lebenszeit. Seither kam es - zunehmend - zu Differenzen mit seinem unmittelbaren Dienstvorgesetzten, dem Geschäftsführer.
In der 54. Vorstandssitzung vom 27. Juni 1985 wurde nach Erörterung, das Dienstverhältnis zum Kläger zu beenden beschlossen, das Amtsentbindungsverfahren einzuleiten, und zwar aus wichtigem Grund, weil das Vertrauensverhältnis zwischen dem Vorstand bzw dem Geschäftsführer und dem Kläger zerstört sei. Unter dem 3. Juli 1985 - der Kläger quittierte am selben Tage, das Schreiben erhalten zu haben - wandte sich der Vorstandsvorsitzende wie folgt an ihn:
Der Vorstand beabsichtigt, in seiner nächsten Sitzung, Sie von Ihrem Amt als stellvertretender Geschäftsführer zu entbinden. Diese findet statt am Dienstag, dem 09.07.1985, um 8.00 Uhr im Sitzungszimmer 1 der .... Der Vorstand bittet Sie, sich hierfür an diesem Tag ab 8.00 Uhr in Ihrem Dienstzimmer bereitzuhalten. Es steht Ihnen selbstverständlich auch frei, sich in dieser Angelegenheit schriftlich zu äußern. Die Notwendigkeit der Maßnahme ergibt sich aus folgenden Gründen: Im Laufe der Vergangenheit haben sich eine ganze Reihe von Vorfällen ereignet, die das Vertrauensverhältnis zwischen Vorstand, Geschäftsführer und Ihnen so belastet haben, daß schon objektiv eine weitere Zusammenarbeit in Ihrer bisherigen Dienststellung nicht zumutbar ist. Im einzelnen handelt es sich zusammengefaßt im wesentlichen um die nachfolgenden Ereignisse.
1. Am 13. Juni 1984 ließen Sie sich unberechtigterweise und entgegen allen Vorschriften Geld aus der Hauptkasse auszahlen. Am Nachmittag des gleichen Tages wurden Sie deswegen ermahnt.
2. Die Ermahnung nahmen Sie zum Anlaß, am 14. Juni 1984 eine völlig unbegründete Anzeige gegen den Geschäftsführer ... zu erstatten. Diese Anzeige war nicht nur sachlich falsch, sondern enthielt auch unwahre Tatbestände. Und zwar haben Sie behauptet, der Personalrat habe Ihnen mitgeteilt, er sei ... (vom Geschäftsführer) erpreßt worden. Der Personalrat hat solche Bemerkungen entschieden in Abrede genommen. Weiter wird aus Ihrer Anzeige deutlich, daß Sie gegen Ihren Vorgesetzen Material gesammelt haben. Sie hätten stattdessen eher Ihrer Beratungspflicht Ihrem Vorgesetzten gegenüber nachkommen sollen. Der Text der Anzeige läßt erkennen, daß es Ihnen in erster Linie darum gegangen ist, den Geschäftsführer dem Vorstand gegenüber in Mißkredit zu bringen. Dabei haben Sie die Rechtslage als eindeutig bezeichnet, gleichwohl aber total verkannt. Sie haben ausgeführt, es sei zwingend notwendig, tätig zu werden und haben Vorsatz unterstellt.
3. Am 2. Januar 1984 erhielten Sie den Auftrag, Vorstellungen über die Weiterentwicklung der Hauptabteilung II zu entwickeln. Diesen Auftrag haben Sie trotz mehrfacher Fristverlängerung nicht ausgeführt, so daß er schließlich zurückgezogen werden mußte.
4.
Der Entwurf einer Vorstandsvorlage vom 11. September 1984 für die Vorstandssitzung am 27. September 1984 wollten Sie dazu nutzen, Differenzen zwischen dem Geschäftsführer und dem Vorstand herbeizuführen.
5. Der Vorstand und die Geschäftsführung der Kasse wurden in ihrem Ansehen dadurch geschädigt, daß Schreiben mit unrichtigen Behauptungen an das Aufsichtsamt gesandt worden sind.
6. Ober die Art und Weise Ihrer Beschäftigung mußte bereits ein einstweiliges Verfügungsverfahren abgehandelt werden. Auch hieraus wird deutlich, daß objektiv die Vertrauensverhältnisse total zerrüttet sind.
7. Si...