Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenhilfe. Bedürftigkeit. Vermögensverwertung. private Rentenversicherung. Rentenversicherungspflichtiger mit Rentenlücke durch Selbständigkeit. offensichtliche Unwirtschaftlichkeit. Billigkeitsprüfung. Ermächtigungsdeckung. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Die Verwertung einer privaten Rentenversicherung eines 59jährigen Rentenversicherungspflichtigen mit Rentenlücke aufgrund längerer selbständiger Tätigkeit ist nicht offensichtlich unwirtschaftlich iS von § 1 Abs 3 Nr 6 AlhiV 2002, wenn der Arbeitslose die Versicherung vor Fälligkeit zum Rückkaufswert (zuzüglich Überschussbeteiligung) zurückgeben kann, der Rückkaufswert (einschließlich Überschussbeteiligung) die Beitragsleistungen deutlich übersteigt und auch eine Beleihung zumutbar wäre.
2. Bei der Anwendung der AlhiV 2002 sind Erwägungen zur individuellen Zumutbarkeit der Verwertung und zur Billigkeit des Ansinnens, vorhandenes Vermögen zur Abwendung der Bedürftigkeit einzusetzen, nicht mehr anzustellen (vgl LSG Berlin vom 2.9.2003 - L 6 AL 16/03 = BuW 2004, 303).
3. Gegen die Gültigkeit der AlhiV 2002 bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Sie beruht auf einer gültigen Ermächtigung und genügt dem Zitiergebot. Die die Berücksichtigung von (Altersvorsorge-)Vermögen betreffenden Bestimmungen stehen mit der Ermächtigungsgrundlage im Einklang und verstoßen weder gegen Art 14 Abs 1 GG noch gegen das Rechtsstaatsprinzip oder den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG (vgl LSG Berlin aao).
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob dem Kläger vom 24. September bis 1. Dezember 2002 sowie ab 1. Januar 2003 Arbeitslosenhilfe (Alhi) zusteht. Dabei geht es im Wesentlichen um Fragen der Bedürftigkeit.
Der ... 1943 geborene Kläger ist seit 1976 geschieden. Er war von 1972 bis 1998 selbständig tätig, zuletzt als Inhaber eines Feinkostgeschäfts. Anschließend war er ab 19. Mai 1998 bis 30. November 1999 als Kommissionierer und danach bis 31. Dezember 1999 als Lagerhilfe beschäftigt. Vom 1. März 2000 bis 30. Juni 2001 arbeitete er als Lagerist; vom 3. bis 31. Dezember 2001 war er als Lagerhilfe und Packer tätig. Die Beschäftigungsverhältnisse seit 1998 waren jeweils versicherungspflichtig. Vom 1. Januar bis 29. Februar 2000, vom 1. Juli bis 2. Dezember 2001 sowie ab 1. Januar 2002 bezog der Kläger bis zur Erschöpfung des Anspruchs ab 24. September 2002 Arbeitslosengeld (Alg), zuletzt nach einem gerundeten Bemessungsentgelt von 555 €. Der wöchentliche Leistungssatz betrug zuletzt 199,92 € (Leistungsgruppe A, Kindermerkmal 0).
Zum 24. September 2002 beantragte der Kläger rechtzeitig die Gewährung von Alhi. Er gab an, im eigenen Hausstand in dem ihm gehörenden Einfamilienhaus (Wohnfläche: 186,5 m²) zu leben, wobei seine (erwachsene) Tochter im Dachgeschoss eine Wohnung von 81,5 m² ohne Zahlung von Miete bewohne. Zu Einkommen und Vermögen machte der Kläger folgende Angaben:
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1. |
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Girokonto Guthaben 338,07 € |
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2. |
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2 Bausparverträge (LBS) mit einem Kontostand |
von insgesamt 1.783,92 €
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3. |
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private Rentenversicherung |
(Allianz Lebensversicherungs-AG).
Zu der Rentenversicherung erläuterte der Kläger unter Beifügung einer Bestätigung des Versicherungsunternehmens vom 27. August 2002, dass die Höhe der gezahlten Beiträge bis zum 31. August 2002 70.730,34 € (bis 30. September 2002 70.994,47 €) betrage. Die Gesamtleistung zum 1. September 2002 betrage 121.259,90 € (zum 1. Oktober 2002 121.571,80 €); bei Rückkauf zum 1. September 2002 ergebe sich eine Einmalzahlung einschließlich Überschussbeteiligung am 1. August 2004 in Höhe von 42.573,00 € (zum 1. Oktober 2002 42.942,00 €). Ergänzend führte der Kläger sinngemäß aus, dass er diese Versicherung 1978 im Hinblick auf seine selbständige Tätigkeit abgeschlossen habe. Bei Fälligkeit am 1. August 2004 sei die Auszahlung eines Kapitals von 195.737,00 € oder die Zahlung einer Rente von monatlich 1.203,90 € vorgesehen. Nach einer - beigefügten - Rentenauskunft der Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein könne er nach Vollendung seines 65. Lebensjahres mit einer Rente von etwa 405,00 € rechnen, so dass er zusätzlich auf die private Rente angewiesen sei. Wenn er gezwungen werde, diese Versicherung vorzeitig zurückzukaufen, verliere er mindestens 76.165,00 €. Dies sei ihm ca. 22 Monate vor Fälligkeit der Versicherung nicht zumutbar.
Mit Bescheid vom 11. September 2002 lehnte die Beklagte den Alhi-Antrag ab. Sie führte aus, dass der Kläger über Vermögen in Form einer Lebensversicherung mit einem Rückkaufwert in Höhe von derzeit 121.295,90 € verfüge, das verwertbar und dessen Verwertung zumutbar sei. Bis Ende August 2002 habe der Kläger in die Versicherung 70.730,34 € eingezahlt. Daraus ergebe sich, dass die Verwertung nicht unwirtschaftlich sei. Unter Berücksichtigung eines Freibetrages in Höhe von 30.160,00 € verblieben 91.135,90 €. Dieser Betrag sei bei der Prüfung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen. Inwieweit die Dachgeschosswohnung...