Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit -Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Hat der Gesetzgeber bewußt seine Regelungen auf die häusliche Pflege beschränkt und will er für die Absicherung des Pflegefallrisikos im übrigen erst noch eine gesetzliche Grundlage schaffen, ist es den Richtern verwehrt, die für einen begrenzten Bereich geltenden Normen auf andere, noch nicht geregelte Bereiche entsprechend anzuwenden (vgl BSG vom 11.8.1992 - 1 RK 46/91 = SozR 3-2500 § 53 Nr 1).
2. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 53ff SGB 5 verstoßen nicht gegen die Artikel 3 Abs 1, 14 Abs 1 und 20 Abs 1 GG.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Leistungen wegen Schwerpflegebedürftigkeit nach §§ 53 ff. des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches -- Gesetzliche Krankenversicherung -- (SGB V) zu gewähren hat.
Die ... 1905 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten im Rahmen der Krankenversicherung der Rentner. Sie ist als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 anerkannt; die Merkzeichen "G", "aG", "H" und "RF" sind ihr zuerkannt. Seit September 1990 befindet sie sich im Altenhilfezentrum ..., Heim ..., in ... in stationärer Pflege. Die Kosten (zur Zeit etwa 4.000,00 DM monatlich) werden von ihr selbst, ihren beiden Töchtern und dem Sozialamt gemeinsam getragen.
Am 22./27. März 1991 beantragte die Klägerin unter Vorlage einer Bescheinigung des praktischen Arztes Dr. ..., ..., vom 15. März 1991, ihr ab 1. Januar 1991, hilfsweise ab 1. März 1991, für die Inanspruchnahme der stationären Pflege nach § 55 SGB V 750,00 DM monatlich zu zahlen. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 27. März 1991 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 1991 ab. Für eine stationäre Pflege in einem Pflegeheim seien nach geltendem Recht keine Leistungen der Krankenversicherung vorgesehen. Leistungen der häuslichen Pflegehilfe könnten vielmehr nur erbracht werden, wenn der Schwerpflegebedürftige in seinem Haushalt oder dem seiner Familie gepflegt und versorgt werde, so daß stationäre Pflege vermieden werde (§ 55 Abs. 1 SGB V).
Mit ihrer am 16. Juli 1991 bei dem Sozialgericht Oldenburg eingegangenen, von dort an das Sozialgericht Lübeck verwiesenen Klage hat die Klägerin im wesentlichen geltend gemacht, die Regelungen der §§ 53 ff. SGB V seien verfassungswidrig. Zum einen verletzten sie den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes -- GG --). Es gebe nämlich keinen einleuchtenden Grund dafür, daß die Versicherten, die stationäre Pflege mit ihren höheren Kosten in Anspruch nehmen müßten, schlechter behandelt würden als die Versicherten, die in ihrem Haushalt oder dem ihrer Familie gepflegt würden und dadurch im allgemeinen geringere Aufwendungen hätten. Zum anderen liege ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG vor. Da das Mitglied kein Wahlrecht habe, das Pflegerisiko mit häuslicher Pflege mitzuversichern oder nicht mit der Folge eines höheren oder niedrigeren Beitrags, müsse der pflegebedürftige Heimbewohner nach der geltenden Regelung nicht nur die eigenen -- höheren -- Heimpflegekosten selbst tragen, sondern mit seinen Beiträgen auch noch die Leistungen für die pflegebedürftigen Versicherten in häuslicher Pflege mittragen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 27. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 1991 aufzuheben und ihr ab 1. Januar 1991, hilfsweise ab 1. März 1991 die Kosten für die Pflegeeinsätze gemäß § 55 Abs. 1 SGB V zu erstatten, hilfsweise monatlich 400,00 DM gemäß § 57 Abs. 1 SGB V zu zahlen, hilfsweise das Verfahren gemäß Art. 100 GG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 12. Februar 1992 abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei unbegründet. Leistungen wegen Schwerpflegebedürftigkeit nach §§ 53 ff. SGB V würden, wie sich sowohl aus dem Wortlaut der gesetzlichen Regelungen als auch aus der Gesetzesbegründung ergebe, nur gewährt, wenn der schwerpflegebedürftige Versicherte in seinem Haushalt oder dem seiner Familie gepflegt werde. Das sei hier nicht der Fall, da die Klägerin auf Dauer in einem Pflegeheim untergebracht sei. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht sei nicht zulässig. Denn die gesetzliche Regelung sei nicht eindeutig verfassungswidrig. Mit der Beschränkung auf die häusliche Pflege solle bewirkt werden, daß die Schwerpflegebedürftigen solange wie möglich zu Hause gepflegt und Pflegeheime nicht in Anspruch genommen würden. Abgesehen davon, daß die Pflege zu Hause in gewohnter Umgebung im Interesse der Schwerpflegebedürftigen liege, sei auch die Einsparung von Kosten, die insbesondere den Sozialhilfeträgern zur Last fielen, eine Absicht des Gesetzes. Die Leistungen gemäß den §§ 53 ff. SGB V ersetzten nicht die Kosten der Familienpflege, sondern seien u. a. als Anreiz zur Pflege gedach...