Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung. Feststellung eines sonstigen Schadens. Verordnung der Medikamente Hepatitis B-Immunglobulin und Beriglobin als Impfstoff
Leitsatz (amtlich)
1. Immunglobuline sind keine Impfstoffe im Sinne der Impfvereinbarung.
2. Zuständig für die Festsetzung eines Schadensersatzes wegen der unzulässigen Verordnung eines Medikaments als Impfstoff sind in Schleswig-Holstein die Prüfgremien. Die insoweit maßgebliche "Prüfvereinbarung vertragsärztliche Versorgung" wird nicht durch § 48 Abs 3 BMV-Ä verdrängt. Die mit der fehlerhaften Verordnung eines Medikaments als Impfstoff zulasten der die Impfstoffumlage verwaltenden Krankenkasse verbundene Belastung einer nicht zuständigen Krankenkasse ist keine fehlerhafte Angabe einer Krankenkasse als Kostenträger im Sinne des § 48 Abs 3 BMV-Ä.
3. Es gilt ein normativer Schadensbegriff. Der Arzt kann nicht einwenden, dieselben oder höheren Kosten wären auch bei zutreffender Verordnung auf den Namen des Patienten zulasten der für ihn zuständigen Krankenkasse entstanden. Allerdings kann bei wertender Betrachtung ein Schaden nicht angenommen werden. Wenn die nachträgliche Zuordnung der Verordnung zu der zuständigen Krankenkasse ohne weiteren Aufwand möglich ist. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung hat keinen Sanktionscharakter.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 22. April 2008 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im gesamten Verfahren sind nicht erstattungsfähig.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, gegenüber den Beigeladenen zu 1.) und 2.) einen Schadensersatz wegen der Verordnung von Arzneimitteln als Impfstoff im Quartal I/03 festzusetzen.
Frau Dr. B und Herr Ba (Beigeladene zu 1.) und 2.) nahmen in den Quartalen I/03 und II/03 als praktische Ärzte mit Praxissitz in A, damals noch in Gemeinschaftspraxis, an der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Die Klägerin beantragte im Dezember 2003 die Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 12 Abs. 3 der Prüfvereinbarung Schleswig-Holstein vom 15. März 1995 in Verbindung mit § 48 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) wegen der Verordnung der Medikamente Hepatitis B-Immunglobulin und Beriglobin (jeweils einmal) im Quartal I/03 als Impfstoff. Bei den genannten Medikamenten handele es sich nicht um öffentlich empfohlene Impfstoffe, sondern um Immunglobuline zur passiven Immunisierung, die auf Einzelrezept unter Angabe des zuständigen Kostenträgers hätten verordnet werden müssen. Der verursachte Schaden betrage nach Abzug des Kassenrabatts 760,68 EUR.
Im März 2004 beantragte die Klägerin die Festsetzung eines sonstigen Schadens gegenüber den Beigeladenen zu 1.) und 2.) wegen Verordnung des Medikaments Neisvac C (einmal) im Quartal II/03. Nach dem Rahmenvertrag über Schutzimpfungen zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und der AOK Schleswig-Holstein könnten Schutzimpfungen gegen Meningitis lediglich bei Personen mit angeborenem oder erworbenem Immundefekt zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen durchgeführt werden. Die Begründung müsse aus der Abrechnung erkennbar sein. Es werde um Überprüfung gebeten, ob die Impfung aus diesem Anlass vorgenommen worden sei. Anderenfalls werde ein Schaden in Höhe von 47,70 EUR geltend gemacht (Medikamentpreis: 50,75 EUR).
Die Kammer Prüfung Arznei der Gemeinsamen Prüfungseinrichtung der Vertragsärzte und Krankenkassen in Schleswig-Holstein setzte durch Beschluss vom 29. Juni 2005 (Bescheid vom 15. September 2005) gegenüber den Beigeladenen zu 1.) und 2.) für das Quartal I/03 einen Schadensersatz in Höhe von 760,68 EUR und für das Quartal II/03 einen Schadensersatz in Höhe von 47,70 EUR fest. Bei den Präparaten Beriglobin und Hepatitis-B-Immunglobulin handele es sich nicht um Impfstoffe, sondern um Immunglobuline. Letztere seien keine Aktivimpfstoffe, sondern Produkte, die der menschliche Körper gegen einen Erreger produziere. Sofern aufgrund einer Erkrankung die Gabe eines Immunglobulins erforderlich sei, sei sie zu Lasten der zuständigen Krankenkasse auf den Namen des Patienten zu verordnen. Eine Ausnahme stelle lediglich das Tetanus-Immunglobulin dar. Dieses könne als Sprechstundenbedarf bezogen werden, da der Arzt es für Notfälle vorrätig halten müsse. Nach der Impfvereinbarung seien nur Aktivimpfstoffe über das Impfstoffrezept beziehbar. Es sei darauf hinzuweisen, dass Impfstoffe keinerlei Budgetrelevanz hätten. Es sei daher auch unzulässig, zur Entlastung des Budgets die Kosten eines Medikaments, das zur Therapie eingesetzt werde, in die Impfstoffkosten zu verlagern. Hierin sei eine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten zu sehen, die den Kassen einen Schaden verursacht habe, weil die verbindlichen Verträge nicht beachtet und Kosten in den außerbudgetären Bereich verlagert worden seien. Es sei auch nicht dargelegt ...