Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme. Verwaltungsakt. Bindungswirkung. Einwand. erneute Sachprüfung trotz rechtskräftiger Entscheidung. Wiederaufnahmegrund
Orientierungssatz
Wenn der gegen einen bindend gewordenen Verwaltungsakt vorgebrachte Einwand seiner Art nach geeignet ist, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes darzutun, die sachliche Prüfung aber ergibt, daß diesem Einwand die tatsächliche Grundlage fehlt, dann beschränkt § 44 SGB 10 die Entscheidung auf den Einwand und läßt die Bindungswirkung im übrigen unberührt (vgl BSG vom 3.2.1988 - 9/9a RV 18/86 = SozR 1300 § 44 SGB 10 Nr 33).
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin entgegen dem rechtskräftig gewordenen Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. März 1995 -- L 7 J 51/94 --, -- S 5 J 75/93 -- SG Itzehoe -- Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente ab Vollendung ihres 60. Lebensjahres nach dem Versicherten R S hat.
Die ... 1932 geborene Klägerin war mit dem ... 1916 geborenen und ... 1979 verstorbenen Versicherten R S verheiratet. Die am 9. Februar 1952 geschlossene Ehe wurde durch das am 11. Juli 1972 rechtskräftig gewordene Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 8. Mai 1972 zur Alleinschuld des Versicherten geschieden. Die Eheleute schlossen aus Anlaß des Scheidungstermins einen Vergleich, in dem es u.a. hieß:
"Wir verzichten gegenseitig auf Unterhalt, jedoch nicht für den Fall des Notbedarfs, und nehmen diesen Verzicht wechselseitig an."
Beide Eheleute wohnten seinerzeit unter der Adresse ... in W. Der als einziges Kind aus dieser Ehe hervorgegangene Sohn, der ... 1953 geborene G S, besuchte seit Februar 1972 bis zumindest September 1972 die Private Handels- und Sprachschule "R" in H -- als zweijährige Handelsschule -- und absolvierte anschließend vom 1. Februar 1974 bis zum 11. Januar 1977 eine Berufsausbildung zum Speditionskaufmann. Durch Beschluß des Amtsgerichts W vom 17. November 1972 -- 2 X 97/72 -- wurde gemäß § 1671 BGB bestimmt, daß der Klägerin die elterliche Gewalt über den Sohn zustand. Ihr Sohn war bis 21. Januar 1975 ebenfalls unter der Adresse ... in W polizeilich gemeldet.
Der Versicherte und die Klägerin heirateten nach der Ehescheidung nicht erneut. Der Versicherte lebte von Juli 1977 bis zu seinem Tod im Pflegeheim B der Freien und Hansestadt H, nachdem er sich zuvor häufig in Obdachlosenasylen aufgehalten hatte. Ihm zur Verfügung stehendes Bargeld verbrauchte er schnell für seinen hohen Alkoholverbrauch. Von der ihm von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) zuletzt vor seinem Tod in Höhe von 1.330,90 DM monatlich gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit verblieb ihm während seines Aufenthaltes im Pflegeheim anfänglich ein monatliches Taschengeld von 80,00 DM und zuletzt im Jahre 1979 in Höhe von 247,00 DM monatlich. Die Klägerin hatte aus der von ihr ausgeübten Beschäftigung einen Arbeitsverdienst von 1.781,00 DM monatlich im Jahre 1979 und in Höhe von 1.675,00 DM netto bzw. 2.741,45 DM brutto monatlich im Jahre 1978. Von Januar bis Oktober 1979 war sie arbeitslos mit einem Arbeitslosengeld von 1.198,60 DM monatlich. Sie verdiente nach Beendigung der Arbeitslosigkeit 1979 dann ca. 1.800,00 DM netto.
Den von der Klägerin am 28. März 1983 gestellten Antrag auf Geschiedenenwitwenrente lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 22. Juli 1983 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 1984 im wesentlichen mit der Begründung ab: Die Klägerin habe gegen ihren geschiedenen Ehemann im Sinne von § 1265 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) weder einen Unterhaltsanspruch gehabt noch von ihm im letzten Jahr vor dessen Tod tatsächlich Unterhalt nachgewiesenermaßen erhalten. Ein Anspruch auf Rente für eine frühere Ehefrau nach § 1265 Satz 2 RVO bestehe nicht, da sie im Zeitpunkt der Scheidung weder das 45. Lebensjahr vollendet gehabt habe noch ein waisenrentenberechtigtes Kind zu erziehen gehabt habe. Die Klage hiergegen wurde durch das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 22. November 1984 -- S 7 J 93/84 -- nach Vernehmung des Sohnes der Klägerin als Zeugen und persönlicher Anhörung der Klägerin über tatsächliche Unterhaltsleistungen des Versicherten im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, daß gewichtige Gründe der Annahme tatsächlicher Unterhaltsleistungen entgegenstünden. Die Berufung -- L 5 J 53/85 -- wurde durch den am 12. November 1985 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangenen Schriftsatz zurückgenommen.
Den am 16. Juni 1989 gestellten Antrag auf Geschiedenenwitwenrente lehnte die Beklagte durch bindend gewordenen Bescheid vom 3. Oktober 1989 nach § 44 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) i.V.m. § 1265 RVO ab. Den Widerspruch hiergegen nahm die Klägerin mit dem am 28. November 1989 eingegangenen Schriftsatz zurück.
Am 24. März 1992 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut Geschiedenenwitwenrente unter Bezugnahme auf § 1265 Abs. 1 Satz 2 RVO für die Zeit ab 1. Juni 19...