Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Regelleistungsvolumen im Quartal II/2010. Härtefallgesichtspunkte im Rahmen der vertragsärztlichen Honorarberechnung. Möglichkeit befristeter Ausgleichszahlungen für Honorarverluste. Zulässigkeit von Abstaffelungsregelungen. Erfassung aller Konstellationen von Honorarbegrenzungsnotwendigkeit. Unabhängigkeit der Abstaffelungsregelung von den Fallzahlen vorangegangener Abrechnungszeiträume

 

Orientierungssatz

1. Das SGB 5 enthält keine Regelungen für die Anerkennung von Härtefallgesichtspunkten im Rahmen der vertragsärztlichen Honorarabrechnung. Jedoch hat der Erweiterte Bewertungsausschuss den Partnern der Gesamtverträge durch seinen Beschluss vom 27./28.8.2008 die Möglichkeit eröffnet, unter bestimmten Voraussetzungen befristete Ausgleichszahlungen für Honorarverluste vorzusehen und sich über das Verfahren zu einigen.

2. Abstaffelungsregelungen, die Punktmengen oberhalb einer bestimmten Fallzahl- oder Punktzahlobergrenze nur noch mit niedrigeren Punktwerten berücksichtigen, sind nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich zulässige Mittel einer Honorarbegrenzung (vgl zB BSG vom 19.2.2014 - B 6 KA 16/13 R = NZS 2014, 515).

3. § 87b Abs 2 S 1 SGB 5 erfasst nicht nur Fälle einer negativ zu bewertenden "übermäßigen Ausdehnung", sondern alle Konstellationen, in denen - unabhängig von einem Werturteil - honorarbegrenzende Maßnahmen erforderlich werden (vgl BSG vom 11.12.2013 - B 6 KA 6/13 R = SozR 4-2500 § 87 Nr 29).

4. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die Abstaffelungsregelung unabhängig von den Fallzahlen vorausgegangener Abrechnungszeiträume einzelner Arztpraxen zur Anwendung kommt.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 21.03.2018; Aktenzeichen B 6 KA 75/17 B)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Mitteilung des Regelleistungsvolumens (RLV) und die Honorarabrechnung für das Quartal II/10. Die Rechtmäßigkeit der Mitteilungen des RLV und der Honorierung für die Quartale II/09 bis I/10 sind in Parallelverfahren anhängig.

Der Kläger ist als Hausarzt mit Praxissitz in B. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und war im streitgegenständlichen Quartal der Arztgruppe der Fachärzte für Innere und Allgemeinmedizin, Allgemeinmedizin, Praktische Ärzte, Hausärztliche Internisten zugeordnet.

Mit Bescheid vom 8. März 2010 teilte die Beklagte dem Kläger das RLV in Höhe von 49.735,76 € für das Quartal II/10 mit. Das RLV wurde aufgrund einer RLV-relevanten Fallzahl von 1.773,0 multipliziert mit dem arztgruppenspezifischen Fallwert von 36,46 € ermittelt. Dabei kam die Abstaffelungsregelung zur Anwendung. Die Durchschnittsfallzahl der Arztgruppe lag bei 767,0. Demgemäß wurden 1.150,5 Fälle mit 100% zu einem arztgruppenspezifischen Fallwert von 36,46 €, 153,4 Fälle mit 75 % des arztgruppenspezifischen Fallwertes (27,35 €), 230,1 Fälle mit 50% des arztgruppenspezifischen Fallwertes (18,23 €) und 239,0 Fälle mit 25% des arztgruppenspezifischen Fallwertes (9,12 €) eingestellt.

Gegen den Bescheid legte der Kläger am 12. November 2010 Widerspruch ein.

Das HVM-Team der Beklagten führte mit Schreiben vom 9. Juni 2009 aus, der Härtefallantrag des Klägers vom 4. Dezember 2008 für das Quartale I/2009 ff. werde abgelehnt.

Mit Bescheid vom 14. Oktober 2010 erteilte die Beklagte dem Kläger die Honorarabrechnung für das Quartal II/10 über eine Honorarsumme von insgesamt 80.629,75 € (vor Abzug des Verwaltungskostenbeitrages). Die RLV-relevante Vergütung einschließlich der qualitätsgebundenen Fallwertzuschläge betrug 61.853,09 €. Der Kläger hatte RLV-Leistungen in Höhe von 66.687,84 € abgerechnet. Die Beklagte legte ein RLV von 49.735,76 € zu Grunde und staffelte die restliche Forderung in Höhe von 16.952,08 € auf 2.328,78 € ab.

Dagegen legte der Kläger am 12. November 2010 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus: Der Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 15. Januar 2009 sei rechtswidrig, soweit abweichend von den gesetzlichen Vorgaben von § 87b Abs. 2 und 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eine Umsatzobergrenze ermöglicht werde. Es wäre allenfalls zulässig gewesen, mit Wirkung für die Zukunft die RLV abzusenken, um mit den daraus gewonnenen Abschlägen Praxen mit einem überdurchschnittlichen Honorarverlust zu stützen. Die Regelung sei auch deswegen rechtswidrig, weil sie eine unzulässige (echte) Rückwirkung darstelle. Sinn und Zweck der gesetzlichen Neuregelung sei, den Vertragsärzten im Zeitpunkt der Leistungserbringung Rechtssicherheit über das Vergütungssystem und dazu zu verschaffen, bis zu welcher Höhe sie eine Vergütung mit festen Punkten auf der Basis der geltenden Euro-Gebührenordnung nach § 87a Abs. 2 SGB V erhalten würden. Dieses Ziel werde unterlaufen, wenn im Nachhinein Vergütungsobergrenzen festgelegt würden, die der Arzt im Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht kenne und auch nicht selber errechnen könne. Des Weiteren sei die Mitteilung des RLV verspätet erfolgt. Gemäß § 87b Abs. 5 Satz 1 SGB V müsse das RLV spätestens 4 Wochen vo...

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