Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme. rechtswidrig nicht begünstigender Verwaltungsakt ≪hier: Honorareinbehalt im Rahmen des Honorarverteilungsmaßstabes≫. Ermessensausübung. Kassenärztliche Vereinigung. Bildung. Haushaltsrücklage
Leitsatz (amtlich)
1. Geht die Behörde grundsätzlich von der Nichtanwendbarkeit des § 44 SGB 10 aus und prüft sie gleichwohl dessen Voraussetzungen, sind hilfsweise Ermessensabwägungen zulässig.
2. Finanzielle Erwägungen können legitimer Gegenstand der Interessenabwägungen im Rahmen des § 44 Abs 2 SGB 10 sein.
3. Eine KV ist grundsätzlich nicht verpflichtet, bei Widerspruch bzw Klage angemessene Haushaltsrücklagen zu bilden.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte zur Nachzahlung einbehaltener Honorarforderungen an den Kläger verpflichtet ist.
Im April 1995 beantragte der Kläger, die Honorarbescheide für die Quartale I/89 bis IV/89 hinsichtlich der rechtswidrigen Honorarkürzungen nach § 11 des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) aufzuheben und den zu Unrecht einbehaltenen Gesamtbetrag von 66.614,13 DM zu erstatten. Zur Begründung führte er aus, gemäß § 11 HVM in der Fassung vom 4. April 1984 (a.F.) sei sein Honorar um den genannten Betrag gekürzt worden. Das BSG habe in seinem Urteil vom 26. Januar 1994 (6 RKa 6/91) festgestellt, daß die Regelung des § 11 Abs. 1 bis 6 HVM a.F. gegen höherrangiges Recht verstoße. Da der HVM insoweit unwirksam gewesen sei, seien auch die vorgenommenen Honorarbegrenzungen in den Quartalsabrechnungen rechtswidrig. Die Aufhebung dieser rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakte erfolge nach § 44 Abs. 2 Satz 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X). Diese Vorschrift räume der Behörde Ermessen ein. Eine ermessensfehlerfreie Entscheidung könne nur zur Erstattung der zu Unrecht vorgenommenen Honorarkürzungen führen. Auf eine Verplanung oder Ausgabe der Kürzungsbeträge werde sich die Beklagte nicht berufen können, da ihr bereits seit Januar 1987 bekannt gewesen sei, daß niedergelassene Vertragsärzte sich gegen diese Honorarbegrenzungsmaßnahmen gerichtlich wehrten. Hinzu komme, daß eine Vielzahl von Vertragsärzten in der Folgezeit Widerspruch gegen Honorarkürzungen eingelegt hätten oder einlegen wollten. In vielen Fällen sei diesen die Auskunft von der Beklagten erteilt worden, dies sei nicht nötig. Dr. K habe auf einer Veranstaltung mit Laborärzten im Frühjahr 1994 erklärt, sämtliche Kürzungen würden aufgrund von § 11 HVM a.F. rückgängig gemacht, weil nur so eine Gleichbehandlung möglich sei und weil die Beklagte selbst in der Vergangenheit hierzu unterschiedliche Erklärungen abgegeben habe.
Mit Bescheid vom 20. April 1995 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, wie der Bestimmung in § 79 Abs. 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) entnommen werden könne, blieben grundsätzlich die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhten, unberührt, wenn das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Entscheidung getroffen habe. Das gelte auch für rangniedere Vorschriften wie die des HVM. § 44 Abs. 1 SGB X sei vorliegend nicht anwendbar, da es nicht um Sozialleistungen gehe. Gleiches gelte für § 44 Abs. 2 SGB X. Selbst aber dann, wenn § 44 Abs. 2 SGB X hier Anwendung fände, liege nach dieser Vorschrift eine Aufhebung für die Vergangenheit in ihrem, der Beklagten, Ermessen. Entscheidend dafür, daß diese Ermessensbestimmung nicht im Sinne des Klägers genutzt werden könne, sei die diesem bekannte Tatsache, daß die Beklagte nach den Beschlüssen der Abgeordnetenversammlung die bei übermäßiger Ausdehnung kassenärztlicher Tätigkeit abgeschöpften Mittel zweckentsprechend für Sicherstellungsmaßnahmen nach dem Statut für Gemeinschaftsaufgaben eingesetzt habe und diese Mittel auch für eine Rückzahlung nicht mehr zur Verfügung stünden. Eine derartige Konsequenz sei nicht ernsthaft verfolgbar, weil die derzeit tätigen Vertragsärzte, insbesondere die in jüngerer Zeit neu zugelassenen Ärzte, nicht für Honorarbegrenzungsmaßnahmen in Anspruch genommen werden könnten, die seinerzeit von der Abgeordnetenversammlung beschlossen und in ständiger Rechtsprechung vom Sozialgericht Kiel und vom Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht bestätigt worden seien. Anders verhalte es sich mit den nicht bestandskräftig gewordenen Kürzungsbescheiden. Hierauf habe sich die Äußerung von Dr. Kosanke allein bezogen. Für derartige Fälle habe die Beklagte zur Befriedigung von Ansprüchen entsprechende Rückstellungen vorgenommen. Dies treffe jedoch im vorliegenden Fall nicht zu.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Zwar sei auch nach seiner Auffassung § 44 Abs. 1 SGB X nicht anwendbar, da diese Vorschrift sich allein auf Sozialleistungen beziehe. Anwendbar sei hingegen § 44 Abs. 2 SGB X, da er sich auf im übrigen rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte beziehe. Für die damit vorzunehmende Ermessensentscheidung sei entscheidend, in wessen Sphäre der fehlerhafte Verwaltu...