Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegeunfall. innerer Zusammenhang. Handlungstendenz. dritter Ort. angemessene Länge des Weges. selbstgeschaffene Gefahr
Leitsatz (amtlich)
1. Der von einem sogenannten dritten Ort zur Arbeitsstelle zurückgelegte Weg kann auch dann unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung stehen, wenn er wesentlich länger als der Weg ist, den die Versicherte sonst von ihrer Wohnung zur Arbeit zurück gelegt hätte (hier 45 statt 25 km).
2. Für die Beurteilung des Versicherungsschutzes ist maßgebend, ob der Antritt des Weges wesentlich von der Handlungstendenz der Versicherten geprägt war, die Arbeitsstelle zu erreichen oder wesentlich deshalb zurückgelegt wurde, um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit zu beenden.
3. Der Versicherungsschutz ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Versicherte den dritten Ort durch einen Sprung aus dem Fenster verlässt, nachdem sie die Haustür als verschlossen und von ihr nicht zu öffnen vorgefunden hatte.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 11. Oktober 2000 sowie der Bescheid der Beklagten vom 21. September 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. November 1998 aufgehoben
Es wird festgestellt, dass es sich bei dem Unfallereignis vom 23. November 1997 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall.
Die 1972 geborene, in Lübeck wohnhafte Klägerin ist als Diätassistentin im S Krankenhaus P in T beschäftigt. Der Weg von der Wohnung zur Arbeitsstelle beträgt 25 km. Am 22. November 1997 fuhr sie direkt von der Arbeit zur Jugendherberge in Pa, um an einer Probe der "M band L ..." teilzunehmen. Es handelt sich hierbei um eine Bigband von 25 Personen, der die Klägerin angehört. Die Übung der Band dauerte am 22. November von 15:00 Uhr bis ca. 23:00 Uhr. Anschließend übernachtete die Klägerin in der Jugendherberge. Am Morgen des folgenden Tages, einem Sonntag, beabsichtigte sie, von der Jugendherberge direkt zur Arbeit zu fahren, ein Weg von 45 km. Die Arbeitszeit begann an diesem Tag um 6:00 Uhr. Die Klägerin wollte deshalb gegen 5:00 Uhr die Jugendherberge verlassen. Da die Außentüren verschlossen waren und niemand wegen der frühen Stunde erreichbar war, sprang sie, um pünktlich zur Arbeit zu kommen, zum Verlassen des Hauses aus einem ca. 2 m über der Erde liegenden Fenster und zog sich dabei eine Wirbelkörperfraktur zu. Gleichwohl fuhr sie noch zu ihrer Arbeitsstelle, ließ sich dort ärztlich untersuchen und wurde bis zum 13. Januar 1998 stationär behandelt.
Nach Eingang der Unfallanzeige führte die Beklagte Ermittlungen zum Unfallhergang durch. Mit Schreiben vom 4. März 1998 teilte sie der Beigeladenen, bei der die Klägerin krankenversichert ist, mit, dass das Unfallereignis nicht die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls erfülle. Dem trat die Beigeladene entgegen.
Mit an die Klägerin gerichteten Bescheid vom 21. September 1998 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 23. November 1997 als Arbeitsunfall und demzufolge Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Klägerin die Jugendherberge in Pa auf Grund persönlicher Umstände aufgesucht habe, um an einem Übungswochenende teilzunehmen. Der Rückweg sei daher wesentlich von dem Vorhaben geprägt gewesen, von einem Wochenendaufenthalt in der Jugendherberge und somit von einer Verrichtung aus eigenwirtschaftlichen, privaten Gründen zurückzukehren. Auch sei der Weg von der Jugendherberge zur Arbeitsstelle wesentlich länger als der Arbeitsweg von der Wohnung der Klägerin. Er berge, auch unter Berücksichtigung der Andersartigkeit der Wegstrecke, ein erhöhtes Unfallrisiko in sich. Daher stehe der Weg vom "dritten Ort" nicht in einem angemessenen Verhältnis zum üblichen Arbeitsweg der Klägerin. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 15. Oktober 1998, der mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 1998 zurückgewiesen wurde.
Hiergegen hat die Klägerin am 28. Dezember 1998 Klage beim Sozialgericht Lübeck erhoben. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, dass Unfallversicherungsschutz auch auf dem Weg von einem "dritten Ort" zur Arbeitsstelle gegeben sei, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen der Zurücklegung des Weges und der versicherten Tätigkeit bestehe. Das sei hier der Fall, da der Übungsabend und die anschließende Übernachtung in der Jugendherberge dem erweiterten häuslichen Bereich zuzuordnen sei. Der Weg von Pa nach T stehe nicht in einem unangemessenen Verhältnis zum gewöhnlichen Arbeitsweg. Er sei nur um 25 km (richtig: 20) länger als der Weg von ihrer Wohnung zur Arbeitsstelle. Ein Arbeitsweg von insgesamt 45 km sei nicht außergewöhnlich und durchaus üblich.
Die Beigeladene hat sich dem Vorbringen der Klägerin angeschlossen.
Das Sozialgericht hat das Sach- und Streit...