Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Einzelfallprüfung von Verordnungen kostenintensiver Arzneimittel. Berücksichtigung. Zweitmeinungsverfahren
Orientierungssatz
Die Prüfgremien haben bei einer Einzelfallprüfung von Verordnungen kostenintensiver Arzneimittel (hier: Wirkstoffe Adalimumab, Etanercept bzw Infliximab) die Ergebnisse eines durchgeführten Zweitmeinungsverfahrens zwar nicht zwingend bei dem Entscheidungsergebnis, aber jedenfalls im Prozess der Entscheidungsfindung auf der Beurteilungsebene zu berücksichtigen .
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des
Sozialgerichts Kiel vom 10. September 2014 und der
Bescheid vom 19. Mai 2011 aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 444.770,44 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Schadensregresses. Dieser hat einen Schadensersatzanspruch der Beigeladenen zu 1) wegen der Verordnung von Tumor-Nekrose-Faktoren (TNF)-alpha-Inhibitoren durch die Klägerin in den Quartalen I/2007 bis IV/2008 zum Inhalt.
Die Klägerin ist eine seit dem Quartal I/2007 bestehende überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft zweier Orthopäden. Ihr Mitglied Dr. Z war von 2002 bis September 2007 im Rahmen einer Sonderbedarfszulassung für orthopädische Rheumatologie mit der Zusatzbezeichnung für Osteologie tätig, vor Gründung der Klägerin in einer Einzelpraxis.
Die Beigeladene zu 1) stellte bezüglich einzelner namentlich benannter Versicherter für das Quartal I/2007 am 5.12.2007, für das Quartal II/2007 am 10.3.2008, für das Quartal III/2007 am 5.6.2008, für das Quartal IV/2007 am 6.9.200711.9.2008, für das Quartal I/2008 am 12.11.2008, für das Quartal II/2008 am 12.11.2008, für das Quartal III/2008 am 9.3.2009 und für das Quartal IV/2007 am 10.6.2009 Prüfanträge. Sie stützte die Anträge auf die Verordnung der Medikamente Humira (Wirkstoff Adalimumab), Remicade (Wirkstoff Infliximab) und Enbrel (Wirkstoff Etanercept) und begründete sie mit Verstößen gegen § 12 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und Ziffer 14 der Arzneimittel-Richtlinien (AMR). Sie führte hierzu aus, mit der Klägerin sei im Mai 2005 eine Pharmakotherapie-Beratung durchgeführt worden. Hierbei sei ihrem Mitglied Dr. Z empfohlen worden, die Zweitmeinungsverfahren gemäß Anlage 2 der Prüfvereinbarung (PrüfV) durchzuführen. Dem sei dieser aber nicht nachgekommen. Der medizinische Dienst der Krankenversicherung (MdK) habe die Verordnungsfälle überprüft und dabei teilweise die Unwirtschaftlichkeit der Behandlung, teilweise den nicht indikationsgerechten Einsatz der Arzneimittel festgestellt. Insbesondere sei häufig nicht erkennbar, ob eine Behandlung mit mindestens zwei Basistherapeutika vorangegangen sei. Die Ergebnisse der Überprüfungen des MdK legte die Beigeladene zu 1) der Prüfungsstelle vor.
Mit Bescheiden vom 12. September 2008, 21. Juli 2009 und 25. August 2010 setzte die Prüfungsstelle der Vertragsärzte und Krankenkassen in Schleswig Holstein Prüfungsverordnungen (Prüfungsstelle) gegenüber dem Kläger Regresse fest, und zwar für das Quartal I/2007 in Höhe von 59.419,56 €, für das Quartal II/2007 in Höhe von 48.777,16 €, für das Quartal III/2007 in Höhe von 30.022,24 €, für das Quartal IV/2007 in Höhe von 46.969,36 €, für das Quartal I/2008 74.753,84 €, für das Quartal II/2008 49.311,24 €, für das Quartal III/2008 71.058,51 € und für das Quartal IV/2008 64.458,53 €. Sie stellte die verordneten Medikamente und deren Anwendungsbereiche dar. Die Regresse begründete sie auf jeden einzelnen Patienten bezogen und stützte sich dabei auf Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) zur Therapie mit TNF-hemmenden Wirkstoffen bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Diese seien von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in der Rubrik „Wirkstoff aktuell“ (Ausgabe 4/2006) als eine Information im Rahmen des § 73 Abs. 8 SGB V unter dem Titel „Etanercept bei rheumatoider Arthritis, Empfehlungen zur wirtschaftlichen Verordnungsweise“ veröffentlicht worden. Die DGRh hatte hierzu folgende Voraussetzungen genannt:
1. gesicherte Diagnose einer rheumatoiden Arthritis (RA), einer polyartikulären Form der juvenilen chronischen Arthritis, einer ankylosierenden Spondylitis oder Psoriasisarthropathie.
2. trotz entsprechender Behandlung aktive Erkrankung, d.h. Versagen zumindest zweier konventioneller Basistherapeutika, eines davon MTX; die Therapie hiermit sollte allein oder in Kombination in adäquater Dosis über einen ausreichend langen Zeitraum (in der Regel insgesamt 6 Monate) erfolgt sein.
3. bei ankylosierender Spondylitis sollte diese mindestens ein halbes Jahr bestehen und es sollte ein erhöhter Aktivitätsindex über mindestens 2 Monate sowie erhöhte Entzündungsparameter unter einer maximal dosierten Therapie mit mindestens 2 konsekutiv verabreichten nicht steroidalen Antiphlogistika dokumentiert sein.
4. kont...